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Was tun, wenn sich im Weinkeller über etliche Jahre mehrere tausend Flaschen angesammelt haben, die man zu Lebzeiten nie mehr selbst wird austrinken können? Ein Anfang: Man lädt regelmäßig befreundete Weinnasen ein, um sukzessive zumindest einen kleinen Teil der Weine gemeinsam zu verkosten. So tat es Harry H. Hochheimer, Wein- und Gastronomieberater und vinophiles Urgestein aus dem Rhein-Main-Gebiet, am Nikolaustag; diesmal ging es um gereifte Bordeaux.

Schauplatz der Probe war die wineBANK in Hattenheim, wo Harry knapp 30 mitunter sehr namhafte rote Bordelaiser Gewächse aus den Jahrgängen 1982 bis 2006 vorbereitet hatte. Die ausgewählten Appellationen bildeten dabei eine gute Mischung, und die (vorgeschlagene) Verkostungsreihenfolge vollzog sich vom jüngsten zum ältesten Wein.

Außer Harry und Gastgeber Dirk Würtz war ein gutes Dutzend handverlesener Weinliebhaber und -profis versammelt, darunter Weinjournalist Oliver Bock, Weingroßhändler Klaus Kneib, die Winzer Ludwig und Alexander J. Jung sowie Weinblogger und Fotograf Ralf Kaiser. Aus Wien war sogar Wirtschaftsdirektor Daniel Hunger-Milkowitsch vom dortigen Steigenberger Hotel Herrenhof angereist. Zur Stärkung standen von Gabi Würtz hausgemachter Leberwurst-Aufstrich, Brot und eine herzhafte Gulaschsuppe bereit, und der Nachmittag begann schwindelerregend mit einem 1947er Riesling Schlossabzug von Schloss Vollrads; Rheingau-Spezialist Oliver Bock kommentierte ebenso lakonisch wie prägnant: „Ehrfurcht!“

Die Bordeaux probierten wir jeder für sich, ohne offizielle Moderation, aber mit regem Gedankenaustausch. So bildete sich jeder sein eigenes Urteil und fand auch seine persönlichen Favoriten in dieser hochkarätigen Phalanx. Die allermeisten Weine waren sehr spannend und zeigten ihren individuellen Charakter und Reifegrad; nur zwei hatten ihren Zenit leider schon überschritten. Drei Weine indessen hatten einen Korkschmecker – das sind immerhin zehn Prozent der gesamten Probenmenge, was ich an dieser Stelle einmal ohne weiteren Kommentar stehen lasse.

2001 Château PibranMeine Lieblingsweine aus dieser außergewöhnlichen, generösen Verkostung kristallisierten sich sehr schnell und eindeutig heraus, und ich kann sie in drei Klassen unterteilen:

Die Top 3

(in der Rangfolge meines persönlichen Geschmacks)

2001 Château Pibran, AOC Pauillac

  • Nase: Pfeffer, getrocknete Kräuter, straff, kompakt, kühl, dunkle Beeren
  • Mund: sehr fein, Gewürze, eingemachte und angetrocknete Beeren, Kräuter, straff, kühl, tief

1997 Château La Lagune, AOC Haut-Médoc

  • Nase: Eukalyptus, getrocknete Kräuter, dunkle Beeren, tief, erdig
  • Mund: saftig, straff, Kirschen dunkle Beeren, Tabak, sehr fein, elegant, samtiges Tannin, tief, nachhaltig

2001 Château Palmer2001 Château Palmer, AOC Margaux

  • Nase: etwas entwickelt, Zedernholz, Speck, Pflaumen, getrocknete Beeren, Kräuter
  • Mund: Sauerkirschen, saftig, feines Tannin, zarter Säurebiss, Kräuter, erdig, Tabak, nachhaltig

Die Favoriten

(in der Reihenfolge der Verkostung)

2006 Château Léoville-Poyferrer, AOC St-Julien

  • Nase: Kirschen, dunkle Beeren, Gewürze, Zedernholz
  • Mund: feine Säure, saftig, Kirschen, rote und schwarze Beeren, Kräuter, Gewürze, straff, eher schlank

1997 Château La Lagune2004 Château Talbot, AOC St-Julien

  • Nase: ein wenig offen, vegetabil, dunkle beeren, Zedernholz, floral
  • Mund: Cassis, Sauerkirschen, Schokolade, Gewürze, straff, saftig, feines Tannin

2003 Château Brio de Cantenac-Brown, AOC Margaux

  • Nase: Speck, etwas animalisch, Pflaumen, Cassis, getrocknete Kräuter, Gewürze
  • Mund: Gewürze, Kräuter, angetrocknete Beeren, straff, kraftvoll, saftig, schwarze Oliven, nachhaltig

2002 Château Picard, AOC St-Estèphe

  • Nase: Zedernholz, Eukalyptus, angetrocknete Beeren, Pflaumen, Kräuter, Gewürze
  • Mund: Sauerkirschen, feine Säure, straff, kühl, Cassis, Gewürze, erdig, herb

2002 Château Picard2001 Château Giscours, AOC Margaux

  • Nase: Speck, Zedernholz, Pflaumen, Sauerkirschen, getrocknete Kräuter, Leder
  • Mund: saftige Kirschfrucht, Karamell, erdig, Tabak, Gewürze, schlank, kompakt

1999 Château Grand Puy-Lacoste, AOC St-Émilion

  • Nase: kühl, straff, elegant, Tabak, Kräuter, dunkle Beeren, Pfeffer, Zedernholz
  • Mund: sehr straff, dunkle Beeren, Pflaumen, Kräuter, kühl, kompakt, nachhaltig

1992 Château d’Armilhac, AOC Pauillac

  • Nase: entwickelt, getrocknete Kräuter, Zedernholz, Nüsse, dunkle Beeren, Gewürze
  • Mund: saftig, schlank, straff, Tabak, Vanille, rote und schwarze Beeren, feines Tannin

Der Joker

(Wein mit besonders eigenwilliger Aromatik)

2000 Château Bernadotte, AOC Haut-Médoc

  • Nase: Salbei, Eukalyptus, Cassis, Kirschen, Pflaumen, Kräuter, kühl, kompakt
  • Mund: schlank, kühl, saftig, dunkle Beeren, Tabak, Kräuter, Gewürze

Die konzentrierte Probe selbst dauerte nur zwei Stunden, und danach schlossen wir im kleinen Kreis ein stimmungsvolles, sehr gutes Abendessen im Restaurant & Gutsausschank Baiken in Eltville an. Harry H. Hochheimer und Famile Würtz auf diesem Wege nochmals ganz herzlichen Dank für die Gastfreundschaft und die großzügige Einladung zu dieser einzigartigen Degustation. Ich bin um eine wertvolle Weinerfahrung reicher.