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Freunde hatten in einem Weinladen an der Mosel einige „alte“ Rieslinge erstanden und mich eingeladen, diese mit ihnen zu verkosten. Die vier Flaschen der Jahrgänge 2000, 1997 und 1989 vom Weingut Oster aus Ediger-Eller ergänzten wir um zwei weitere gereifte Rieslinge von 2004 aus dem Rheingau und dem Elsass. Die Probe brachte Überraschungen.

Sauerstoff hilft – aber nicht ewig

Wir starteten mit einem 2004er Rüdesheim Berg Schlossberg Riesling von den Weingütern Wegeler aus Oestrich-Winkel. Strohgelb in der Farbe, animierte der Wein aus einer der besten Rheingauer Lagen mit Duft nach Honig und reifer Aprikose sowie leichtem Petrolton. Der Petrolton ist bei hochwertigen, extraktreichen Weinen ein Zeichen der Reife und erinnert mit seinem leicht stechenden und bitteren Geruch an Benzin. Verantwortlich ist die chemische Substanz Trimethyl-Dihydronaphtalin. Auf der Zunge jedoch zeigten sich zunächst nur eine kratzige Säure und wenig Harmonie. Erst nach etwa zehn Minuten im Glas entfalteten sich Aromen von Limette, Pfirsich, Trockenfrüchten und Apfel. Der Wein brauchte erst etwas Sauerstoff, der ihn „aufschloss“. Der Einfluss des Sauerstoffs ist für das Reifen und das Genießen von Wein ein zentraler Faktor. In diesem Fall galt: Sauerstoff hilft – aber nicht ewig, denn nach weiteren etwa 20 Minuten mit Sauerstoffkontakt baute der Wein sensorisch wieder ab. (Dazu passt übrigens vortrefflich ein aktueller Artikel von Weinjournalist Manfred Klimek alias Captain Cork zum Thema Wein und Sauerstoff.) Wir werden den sechsjährigen Rheingau-Riesling nächste Woche als einen der Protagonisten in einer Kalten Ente probieren; dort wird er sicherlich eine gute Figur machen.

Volltanken bitte!

Nach diesem nicht wirklich begeisternden Einstieg widmeten wir uns dem 2000er Neefer Frauenberg Riesling von Oster. Der Frauenberg ist eine exponierte Terrassen-Steillage an der Mosel, in der die Trauben auf Schieferboden wachsen. In intensivem Gelb und klar stand der Wein im Glas, und in die Nase stiegen heftige Petrolnoten sowie der Duft von grünem Apfel. Im Mund war der Zehnjährige sofort präsent mit lebendiger Säure, filigranem Spiel und mineralischer Prägung. Fruchtbetont mit Aromen von Pfirsich und schwarzer Johannisbeere wirkte der Wein deutlich jünger: Blind verkostet hätte ich ihn auf 2007 geschätzt. Er präsentierte sich voll intakt und stabil – ein Hochgenuss! Besonders interessant: Zusammen mit Gänse-Rillettes (Schmalzfleisch) schmeckte er cremig nach Zitronensorbet.

Überzeugend schlechter Jahrgang

Dass Petrol nicht immer positiv sein muss, merkten wir bei den beiden Weinen von 1997: einer Neefer Frauenberg Auslese halbtrocken von Oster sowie einer Neefer Frauenberg Auslese, abgefüllt unter Osters Handelsmarke „Amata Vitis“. Die halbtrockene Auslese, farblich von hellem Strohgelb, war in der Nase muffig und eher stechend, allenfalls Trockenfrüchte erahnbar, auf der Zunge einsilbig und bitter, allein von Säure geprägt – eindeutig firn. Die zweite Auslese roch nur noch nach muffigem Keller, war stark oxidiert (der so genannte Sherryton) und ließ höchstens Noten von Nüssen und Pilzen erkennen. Beide Weine waren leider definitiv nicht mehr trinkbar, was wohl auch am Jahrgang liegt: Die DLG klassifiziert das Weinjahr 1997 an der Mosel als „ordentlich“ – die zweite von vier Stufen zwischen „mäßig“ und „sehr gut“. Die klimatischen Gegebenheiten des Jahrgangs beeinflussen die Reifung der Trauben am Rebstock, und die Qualität von deren Inhaltsstoffen entscheidet – neben anderen Faktoren – über die Lagerfähigkeit des Weins.

Mit über 20 Jahren noch Potenzial

Die größte Überraschung erlebten wir anschließend mit dem 1989er Ediger Elzhofberg Riesling Auslese von Oster. In dieser Spitzenlage stehen sehr alte, wurzelechte Rebstöcke, und der 21 Jahre alte Wein setzte sich überwältigend in Szene: Goldgelb schimmernd, im Duft nur wenig Phenol und geradezu frisch mit Holunder, Pfirsich und Aprikose. Am Gaumen eine belebende Säure und viel Frucht mit rosa Grapefruit, Cassis, Himbeere und Blutorange sowie Joghurt. Dieser Wein hat Größe und Länge und sogar noch weitere fünf bis zehn Jahre Potenzial! Wir werden versuchen, noch einige Flaschen zu bekommen.

Schlecht drauf

Der letzte Wein des Abends hatte demzufolge ein ziemlich unfaires Verkostungsumfeld, doch wir wussten ja nicht, wie gut der 1989er sein würde, als wir die Reihenfolge festlegten. Indessen zeigte sich der 2004er Riesling Réserve des Elsässer Spitzenerzeugers Trimbach aus Ribeauvillé insgesamt in einer schlechten Phase. Innerhalb ihres Reifeprozesses durchlaufen Weine bestimmte Stadien, in denen Sie mal zugänglich und ansprechend, mal verschlossen und abschreckend wirken. Auch die Wein-Typizität im Elsass ist eine ganz andere als im Rheingau oder gar an der Mosel. Der hellgelbe Tropfen wartete mit Aromen von Orangenblüte und Kräutern (Rosmarin, Thymian, Zitronenmelisse) sowie Trockenfrüchten auf. Dominiert wurde er jedoch von einer unharmonischen Säure, die sich erst wieder integrieren muss. Der Trimbach war als kräftiger Abschluss gedacht, doch der Jahrgang 2004 lässt sich momentan nicht mit Genuss trinken; lieber noch ein, zwei Jahre liegen lassen.

Wir verzichteten auf den Rest der Flasche, nachdem deren Inhalt auch mit mehr zeitlichem Abstand zur 1989er Auslese kein besseres Geschmacksbild zeigte, denn: „Wenn wir schon so weit sind, dass wir uns Weine schön trinken, ist es zu spät.“ Nichtsdestotrotz betonte der Gastgeber abschließend seine Leidenschaft für die Rebsorte mit einem sehr schönen Kompliment: „Ich habe lange gebraucht, um zum Riesling zu finden. Seitdem gibt es bei uns zwei Arten von Wein: Riesling – und den Rest.“ Die Besonderheit und Vielseitigkeit des Rieslings hat sich auch an diesem Abend bestätigt (über den auch der Gastgeber einen launigen Bericht verfasst hat).