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Ergänzend zu den VinoBlog-Artikeln „Von Tankstellen und Zitrusfrüchten“ und „Mut zum Alter“, die sich mit reifen Weinen befassen, hier noch einige Gedanken und Hintergrundinformationen von – zufällig allesamt österreichischen – Winzern.

„Reife ist der Vorgang, bei dem der Wein trinkbar wird“, definiert Axel Stieglmar vom Weingut Juris im Burgenland. Vor der Reifung des Weins steht jedoch die Reifung der Trauben im Weinberg. Der beste Lesezeitpunkt ist dann erreicht, wenn alle Inhaltsstoffe der Beeren (Zucker, Säuren, Gerbstoffe etc.) optimal ausgereift sind. Dieser Zeitpunkt ist die physiologische Reife. Als ein Kriterium dafür nennt Stieglmar die Farbe der Traubenkerne: „Die physiologische Reife der Traube tritt etwas nach er Zuckerreife ein und zeichnet sich dadurch aus, dass die Traubenkerne braun sind. Vorher sind sie grün, und unreife Kerne enthalten harte Tannine.“ Tannine (die chemisch zu den kondensierten Proanthocyanidinen zählen) sind die Gerbstoffe, die den Wein bitter schmecken lassen. Sie spielen bei Rotweinen eine größere Rolle als bei Weißweinen und verändern sich auch während der Flaschenreife. „Bei jungen Weinen sind die einzelne Moleküle auf der Suche nach Bindungspartnern, sie sind aggressiv. Bei älteren Weinen schließen sich die Moleküle zu Ketten zusammen und werden dadurch sanfter“, erklärt Stieglmar. Ein weiterer Faktor für die Lagerfähigkeit des Weins ist der biologische Säureabbau (BSA), bei dem die Äpfelsäure im Wein durch Bakterien in Milchsäure umgewandelt wird. Stieglmar: „Die Äpfelsäure altert und wird bitter, während die Milchsäure stabil bleibt.“ Auch der BSA ist eher für Rotweine als für Weißweine relevant.

Weine, die aus physiologisch unreifem Lesegut gekeltert werden, haben oft eine „grüne“ Aromatik: Sie duften und schmecken herb und säuerlich, wie unreifes Obst und Gemüse, das auch äußerlich noch grün ist (Bananen, Erdbeeren, Tomaten, Kohlrabi). Für Stieglmar ist das für die Rebsorte Sauvignon blanc typische Aroma von grüner Paprika (hervorgerufen durch die chemische Substanz Pyrazin, die auch an schwarze Johannisbeeren und Röstaromen erinnert) ein Zeichen von Unreife, während andere Winzer genau diesen Typ Wein gezielt produzieren. Besonders neuseeländischer Sauvignon blanc ist an diesen bitteren, grasigen Noten zu erkennen. Roman Pfaffl, Winzer im Weinviertel, verschneidet „grünes“ Lesegut (75 bis 80 Grad Oechsle) mit reifem Traubenmaterial und verleiht so seinem Sauvignon blanc Seiser am Eck gleichermaßen Frische und Körper.

Dass es auf die Reife nicht nur der Trauben, sondern eben auch des Weins selbst ankommt, bestätigt neben Weinjournalist Manfred Klimek (alias Captain Cork) auch Burgenland-Winzer Gerhard Just: „Die Weine werden heute zu früh verkauft und getrunken.“ Dabei wirft Just die Frage der Lagerung auf, die in erster Linie eine Kostenfrage sei: „Der Winzer hat optimale Lagerbedingungen, aber meist zu wenig Platz. Der Händler kann sich eine Lagerung vielfach wirtschaftlich nicht leisten. Und der Kunde wiederum hat selten optimale Lagermöglichkeiten.“ Abgesehen von solventen Genussmenschen investiert allein die Top-Gastronomie mit passionierten Patrons und Sommeliers in Weinlagerräume oder -schränke, um ihren Gästen einen Wein möglichst auf dessen Höhepunkt auszuschenken. Auf der Handelsschiene jedoch werden Weine häufig zu jung abgegeben, bis der Kunde sie entweder aus Platzmangel oder, weil er es nicht besser weiß, lange vor der optimalen Trinkreife öffnet.

Noch schlimmer ist es aber, einen Wein zu lange liegen zu lassen. Der Alterungsprozess ist – wie bei allem Organischen – unumkehrbar. Wie lange und unter welchen Bedingungen man seine eigenen Weine lagert, hat man selbst im Griff und kann sich danach richten. Als Konsument weiß man jedoch leider viel zu selten, wo und wie ein Wein vorher gelagert wurde. Am sichersten ist es daher, direkt beim Winzer oder beim Weinfachhändler zu kaufen und vorher zu probieren – gerade Weine aus dem Supermarkt sind selten lagerfähig.