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„Eine von der Natur vorgenommene Mengenreduktion schon während der Blüte war ideal für die Erfüllung der Qualitätsstandards, die die VDP-Winzer bei ihrem Lesegut anstreben. So konnten sich die wenigen verbliebenen Trauben [...] im Sommer 2009 sehr gut entwickeln.“ Die Prognose der Prädikatsweingüter für den Jahrgang 2009 war gut. Heute eine Bilanz nach zehn Monaten. Und nach 100 Jahren.

Große und Erste Gewächse

Rund 200 deutsche Spitzenweinerzeuger sind im Verband „VDP. Die Prädikatsweingüter“ zusammengeschlossen. Die Mitglieder erfüllen strenge Qualitätskriterien für ihre Weine, und deren beste werden seit dem Jahrgang 2002 unter der Bezeichnung „Erste Lage“ vermarktet. Die trockenen Erste-Lage-Weine werden als „Großes Gewächs“ (GG) bezeichnet, während die edelsüßen Spitzenweine die traditionellen Prädikate von Spätlese bis Trockenbeerenauslese tragen. Große Gewächse aus dem Rheingau – also trockene Weine aus den besten Lagen dieses Anbaugebiets – heißen „Erstes Gewächs“. Die Großen und Ersten Gewächse des Weißwein-Jahrgangs 2009 und des Rotwein-Jahrgangs 2008 standen Ende September 2010 zur Probe an. Dabei zeigte sich, dass die Erwartungen insgesamt nicht zu hoch waren.

Herausragende Winzer, Weine und Lagen

Aus meiner willkürlichen (und insofern bei weitem unvollständigen) Degustation stachen drei Winzer mit ihren GG-Kollektionen heraus: das Weingut Wirsching aus Franken, das Weingut Salwey aus Baden sowie das Weingut Pawis aus Saale-Unstrut. Außerdem erwiesen sich die Großen Gewächse einer einzelnen Lage über Rebsorten und Erzeuger hinweg als besonders exzellent: die vom Iphöfer Julius-Echter-Berg in Franken – jetzt schon große Trinkfreude, aber noch ganz viel Potenzial. Besondere Freude machte die Verkostung beim Weingut Drautz-Able aus Württemberg: Markus Drautz hatte GG-Rieslinge vom Heilbronner Stiftsberg aus den Jahren 2009, 2008 und 2007 mitgebracht sowie GG-Spätburgunder vom Neckarsulmer Scheuerberg aus den Jahren 2008 und 2007; der 2007er präsentierte sich als ein Traum von Schokolade und Kaffee – ein ganz außergewöhnlicher deutscher Spätburgunder. Drautz ließ durchblicken, wie viel Arbeit in diesen vielschichtigen Weinen steckt (der 2009er Riesling GG ist zur Hälfte im Barrique ausgebaut), und brachte die Philosophie seines Hauses auf den Punkt: „Wir wollen nicht nur den Weinberg, sondern auch den Betrieb ins Glas bringen.“ Das gelingt.

Kaufen und liegen lassen

Von den jüngsten Großen Gewächsen aus fast allen deutschen Anbaugebieten, die ich probiert habe, haben mir die folgenden besonders gefallen (hier geordnet nach Rebsorten):

2009 Riesling GG

  • Iphöfer Julius-Echter-Berg, Wirsching, Franken
  • Iphöfer Kronsberg, Wirsching, Franken
  • Würzburger Stein, Juliusspital, Franken
  • Freyburger Edelacker, Pawis, Saale-Unstrut
  • Ruppertsberger Reiterpfad, Bergdolt, Pfalz
  • Nackenheimer Rothenberg, Gunderloch, Rheinhessen
  • Monzinger Frühlingsplätzchen, Emrich-Schönleber, Nahe
  • Heilbronner Stiftsberg, Drautz-Able, Württemberg
  • Fellbacher Lämmler, Aldinger, Württemberg
  • Hattenheimer Nussbrunnen (Erstes Gewächs), Ress, Rheingau

2009 Silvaner GG

  • Iphöfer Julius-Echter-Berg, Wirsching, Franken
  • Iphöfer Julius-Echter-Berg, Juliusspital, Franken

2009 Weißburgunder GG

  • Freyburger Edelacker, Pawis, Saale-Unstrut
  • Oberrotweiler Henkenberg, Salwey, Baden

2009 Grauburgunder GG

  • Oberrotweiler Eichberg, Salwey, Baden
  • Schliengener Sonnenstück, Blankenhorn, Baden

2008 Spätburgunder GG

  • Glottertaler Eichberg, Salwey, Baden
  • Zell-Weierbacher Neugesetz, Franckenstein, Baden
  • Untertürkheimer Gips, Aldinger, Württemberg

Der Traubenadler als Qualitätsindikator

Im Jahr 2010 wird der Verband der Prädikatsweingüter (dafür steht die Abkürzung VDP ursprünglich) 100 Jahre alt. Aus diesem Anlass wurden nicht nur eine Vielzahl von Veranstaltungen organisiert, sondern auch mehrere Bücher herausgebracht. Zwei wurden am Rande der GG-Probe vorgestellt, eines davon die Aufarbeitung der hundertjährigen Verbandshistorie von FAZ-Redakteur Dr. Daniel Deckers mit dem Titel „Im Zeichen des Traubenadlers“. Deckers betrachtete bei der Buchvorstellung die VDP-Geschichte als ein Spiegelbild der deutschen Geschichte und ging kurz auf die wichtigsten Stationen ein: die Gründung einer Vereinigung, um die politischen Interessen der Naturwein-Versteigerer zu vertreten, im Jahr 1910; die Einführung des Traubenadlers als Verbandszeichen Mitte der 1920er Jahre; die Nicht-Gleichschaltung des Verbands während der NS-Zeit und die frühe Rückkehr vieler jüdischer Weinhändler aus der Emigration; das Inkrafttreten des neuen Weingesetzes im Jahr 1971 und die Abwendung der drohenden Verbandsauflösung durch Peter von Weymarn vom rheinhessischen Weingut Heyl zu Herrnsheim. Wilhelm Weil, Vorsitzender des VDP Rheingau, verwies auf die Tradition des Verbands und auf die Rolle des Winzers als Kulturentwickler und Landschaftspfleger. „Unser Ziel ist es, Spitzenqualitäten zu erzeugen und zu vermarkten. Dass deutsche Weine heute national und international wieder hohe Wertschätzung genießen, ist auch ein wesentliches Verdienst des VDP“, so Weil. Deutschland werde immer mehr zu einer Lifestyle-Nation. Das heiße für die Prädikatsweingüter: „Wir müssen uns unserer Wurzeln bewusst sein, aber wir müssen auch unsere Fußstapfen hinterlassen.“

Massives Mitgliederverzeichnis

Als zweites Buch präsentierte der VDP den großformatigen Bildband „Deutschlands Weinelite“. Darin wird jeder Mitgliedsbetrieb und Winzer in Wort und Bild porträtiert. „Wir mussten 100 Jahre werden, um endlich ein Mitgliederverzeichnis aufzulegen“, kommentierte Armin Diel, Vorsitzender des VDP Nahe, mit einem Augenzwinkern. Das (Absicht oder Zufall?) 100 Euro teure Coffee-Table-Book würde sich angesichts seiner Maße und seines Gewichts tatsächlich als Tischplatte eignen, und Ralf Frenzel, Geschäftsführer des Tre Torri-Verlags, bewies ebenfalls Humor: „Solche Bücher braucht kein Mensch, aber man muss sie haben wollen, dann kauft man sie auch.“ Beeindruckend ist das Werk allemal – doch ein sehr informatives VDP-Mitgliederverzeichnis gibt es auch in handlicherem Format für knapp ein Zehntel des Preises.