Content

Das war sie, die ProWein 2010. War sie eine gute Messe dieses Jahr? Die Stimmung ist besser als die Lage, fassen erste Schlagzeilen schon am zweiten Tag zusammen. Wer sich mit Winzern unterhält, findet die gute Stimmung bestätigt – und nicht nur gute Stimmung: Begeisterung geradezu über den Jahrgang 2009.

Von Bordeaux bis Bratislava loben die Weinerzeuger die herausragende Qualität des Leseguts, reif und gesund. Besonders in Österreich – in Wien, im Weinviertel und im Burgenland – sind manche Weingärtner versucht, von einem Jahrhundertjahrgang zu sprechen. Dass in Österreich die Erntemenge wegen Regen- und Hagelschäden im Frühjahr deutlich geringer ausfiel als üblich, wird als Qualitätsvorteil dargestellt – freilich zu Recht. Doch wirtschaftliche Einbußen scheinen unausweichlich.

Auch in Deutschland zeigen sich die Winzer begeistert vom Jahrgang 2009. Die in den westlichen Weinbaugebieten zumindest. Die Reben in Sachsen und Saale-Unstrut hatten massiv unter dem Herbstfrost zu leiden. Auf Schloss Proschwitz bei Meißen sind über 40 Prozent der Trauben erfroren, und damit ist der VDP-Betrieb noch gut weggekommen. Anderswo waren die Verluste so groß, dass etwa der komplette Stand des Anbaugebiets Sachsen in diesem Jahr die Messeteilnahme abgesagt hat.

Wer hinter die Kulissen schaut und horcht, erfährt von teilweise erheblichen Markteinbrüchen und vom Preiskampf, der längst zu einer Qualitäts- und Gewissensfrage geworden ist: Da steht internationale, gleichgemachte, austauschbare Massenware (die dann Mainstream heißt) gegen aufwändig und liebevoll hergestellte Charakterweine aus autochthonen Rebsorten, die natürlich mehr kosten und die ihre qualitätsbewussten Erzeuger aus den Supermarktregalen heraushalten wollen. Spanien liegt im Trend – wo früher Pinot Grigio oder Chianti draufstehen musste, um ohne jede weitere Frage inflationär konsumiert zu werden, steht heute Rioja drauf, um denselben Effekt zu erzielen. Der Konsument hat ein Image im Kopf, und das wird von großen Produzenten und Handelshäusern bedient. Portugal unternimmt gigantische Marketinganstrengungen, um seinen Marktanteil in Deutschland zu erhöhen.

Andere Länder überdenken ihr Weinbezeichnungsrecht, und regionale Winzerinitiativen schaffen Marken, die den Weintyp – auch über die Herkunft – sofort erfassbar und wiedererkennbar machen sollen. Dem Verbraucher soll der Zugang erleichtert werden. Weine wie Austrian Cherry und Austrian Pepper, die das vielfach ausgezeichnete österreichische Weingut Pfaffl für den Vertrieb im Ausland produziert, sind Beispiele dafür, dass Name und Flaschenausstattung Bilder im Kopf des Konsumenten malen können, und der Erfolg gibt dieser Nebenlinie Recht: Der Austrian Cherry (mit Zweigelt bewusst und logischerweise eine typisch österreichische Rebsorte) war Roman Pfaffl zufolge etwa bei Jacques‘ Weindepot in Deutschland dreimal so schnell ausverkauft wie bei anderen derartigen Aktionen.

Qualitätsinitiativen und -organisationen wie der VDP oder die Charta-Weingüter in Deutschland und Leithaberg oder Gols Select in Österreich haben in diesen und vielen anderen Ländern verwandte Bewegungen, die immer mehr zu Institutionen werden: wenn nämlich die Statuten solcher Winzervereinigungen in das regionale oder nationale Weinrecht übernommen werden, wie etwa demnächst beim Wiener Gemischten Satz. Das lässt hoffen, und allen Winzern, Händlern und Gastronomen, die diesen Weg der unbeirrten Qualitätsorientierung gehen, ist ausreichendes Durchhaltevermögen zu wünschen. Solange Preisanpassungen abwärts nicht überlebenswichtig sind, gefährden sie das allmählich mühsam geschaffene Qualitätsbewusstsein der Kunden.

Und sonst?

Im Wesentlichen ist bereits am ersten Messetag meine ursprüngliche Planung zusammengebrochen. Zahlreiche Termine, die ich vorhatte wahrzunehmen – von Standbesuchen bis zum Weinblogger-Treffen im Pressezentrum –, fielen der Zeitnot zum Opfer. So war der diesjährige Ansatz weniger ein quantitativer (festgemacht an der Zahl der verkosteten Weine pro Tag), sondern stärker als je ein qualitativer. Meine Schwerpunkte Österreich, Deutschland und Frankreich kamen in dieser Rangfolge zum Tragen, was auch dieser Artikel widerspiegelt.

In den drei Tagen voller Begegnungen, Entdeckungen, Fachsimpeleien und Recherchen gab es einige denkwürdige Aussagen. Eine der schönsten stammt von Brigitte Legras, Patronne des Champagnerhauses Legras & Haas. Die familiären Werte ihrer Marke beschreibt sie mit dem Satz: Kunden sind zu Freunden geworden. Mme Legras ist sich übrigens mit Rheingau-Winzer Norbert Barth darin einig, dass Sekte und Champagner möglichst weinig sein sollten. Beide wissen, wovon sie sprechen, und haben meine volle Zustimmung.

Geradezu überschwänglich war das Wiedersehen mit Albert de Jong, Journalisten-Kollege aus den Niederlanden. Er hatte am Messe-Montag den ProRiesling Förderpreis 2010 verliehen bekommen und war außer sich vor Freude über diese Anerkennung: Dafür habe ich 25 Jahre gearbeitet. Ich bin drei Tage nur am Feiern! Rief’s und steuerte mit seinem riesigen Rotwein(!)-Glas den nächsten VDP-Stand an.

Mein Messeabschluss an dem insgesamt sehr ruhigen Dienstag war die 2004er Trockenbeerenauslese von Erwin Tinhof aus dem Burgenland. Den edlen, konzentrierten Nektar kommentiert der bescheidene Spitzenwinzer nur mit zwei Wörtern: Natur pur.