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Ein kulinarisches Tagebuch

Seit Oktober vergangenen Jahres arbeite ich dauerhaft und ausschließlich zu Hause in Maintal – keine Bürogemeinschaft, keine Reisen, keine Präsenzveranstaltungen, so wenig reale, physische Kontakte wie möglich. Corona-Zeit. Was mir diese Situation abgesehen von Videokommunikation erheblich erleichtert, ist der glückliche Umstand, dass sich wenige Straßen von meinem Wohnhaus entfernt ein Restaurant befindet, zu dessen Stammgästen ich mich zählen darf und zu dem meine Verbundenheit während der inzwischen monatelangen Restriktionen sogar noch stärker geworden ist.

Außenansicht des Restaurants „Fleur de Sel“ in MaintalEs heißt „Fleur de Sel“ und bietet gehobene, südfranzösisch inspirierte Küche, und ich halte es für ausgeschlossen, dass es im Rhein-Main-Gebiet ein Restaurant mit einem vergleichbaren Preis-Leistungs-Verhältnis gibt. Die Inhaber- und Betreiberfamilie heißt Theumer: Vater Horst und seine französische Frau Patrice tragen als Elterngeneration in erster Linie für die – um einmal neudeutsch zu werden – „Guest Relations“ Sorge, er als „Majordomus“, sie als „gute Seele“. Sohn Patrick ist der Küchenchef und wirkt am liebsten mit seinem kleinen, ambitionierten Team hinter den Kulissen, das aber mit großem Engagement und Können, und da die Küche offen gestaltet ist, auch nicht unbemerkt von den Gästen. Bevor die Familie am 5. November 2011 das „Fleur de Sel“ eröffnete, hatte Patrick abgesehen von seiner Kochausbildung mehrere gastronomische Stationen in Frankfurt und Umgebung absolviert, darunter in den beiden Sternerestaurants „Brick“ und „Silk“. Auch seine Schwester Christine ist gelernte Köchin (zusammen mit ihrem Lebensgefährten hatte sie früher ein Restaurant in einem kleinen Ort in Südfrankreich), war aber viele Jahre hauptsächlich für den Service im „Fleur de Sel“ verantwortlich, unterstützt unter anderem von Patricks Frau Yasemin, die „eigentlich“ Sängerin ist. Inzwischen hat Christine sich beruflich in Richtung Tiermedizin verändert, und das junge, sympathische Serviceteam leitet seitdem mit viel Charme und Professionalität Christina Morbitzer. Alle Theumers und alle ihre Angestellten sind leidenschaftliche Gastgeberinnen und Gastgeber, denen es eine Herzensangelegenheit ist, ihren Gästen in freundlicher, mediterraner Atmosphäre und bei französischer Hintergrundmusik denkbar angenehme kulinarische Stunden zu bescheren.

Innenansicht des Restaurants „Fleur de Sel“ in MaintalSeit die Gastronomie in Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie erneut geschlossen ist (also seit dem 2. November 2020) bietet das „Fleur de Sel“ an jedem Wochenende von Freitag bis Sonntag abends (sowie sonntags auch mittags) Gerichte zum Vorbestellen und Abholen an. Die wöchentlich wechselnde Karte umfasst stets zwei Vorspeisen, eine Suppe, drei bis vier Hauptgänge und ein Dessert, und zu besonderen Anlässen (Weihnachten, Silvester, Valentinstag, Ostern) gibt es ein mehrgängiges Menü. Dazu werden die Weine aus der Restaurantkarte mit 30 Prozent Preisnachlass angeboten, und inzwischen gibt es sogar spezifische Weinempfehlungen zu den Menüs sowie hausgemachte Pralinen, Öle, Essige, Salze und Gewürze zum Mitnehmen.

Innenansicht des Restaurants „Fleur de Sel“ in MaintalUnd mit den Gerichten aus Patrick Theumers Küche tue ich mir während der Restriktionen beinahe jedes Wochenende etwas Gutes. So unterstütze ich die Gastronomie in meinem Wohnort – zumal mein Lieblingsrestaurant – in der Krise und schaffe mir gleichzeitig herrlichen Genuss zu Hause. Bei diesen Gelegenheiten hole ich auch immer wieder einmal einen besonderen Wein aus meinem Keller oder nehme vom „Fleur de Sel“ eine oder zwei Flaschen mit.

Von einigen wesentlichen dieser hedonistischen Episoden will ich an dieser Stelle berichten – in Form eines kulinarischen Tagebuchs, das meinen jeweiligen Beiträgen in den sozialen Medien folgt. Dabei ging es nicht immer nur um den richtigen Wein zum Essen, sondern manchmal auch um das richtige Essen zum Wein…


2. November 2020

Gebackenes Kalbsbries mit Champignons à la crème und FeldsalatDer 1. November war der letzte Tag, an dem die Gastronomie geöffnet war, und ich hatte kurzfristig noch einen Tisch bekommen.

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ein Besuch im ‚Fleur de Sel‘ ist etwas, worauf man sich (d. h. ich mich) tagelang freuen kann – umso mehr, wenn es sich um den letzten Abend vor dem streitbaren, aber rechtswirksam verfügten ‚Lockdown‘ handelt. (Fürs Protokoll: Für Gäste, die sich am Abend vor einer vierwöchigen Zwangspause darüber beschweren, dass einzelne [!] Gerichte auf der Karte nicht mehr verfügbar sind, während sie dafür aber jeweils eine bis zwei [!] Alternativen angeboten bekommen, habe ich keinerlei Verständnis.) Der Zeit angemessen, waren im ausgebuchten Restaurant fast ausschließlich Zweiertische reserviert, und alle Gäste trugen selbstverständlich und völlig unaufgeregt Masken – danke dafür! À la carte hatte ich – so der bereits per se ambitionierte Plan – vier Gänge, die allerdings dank der Großzügigkeit des Hauses auf sechs Gänge – drei ‚kleine‘ und drei ‚große‘ – aufgestockt wurden.

2019 Quincy von der Domaine Pierre DuretDas, was mich dazu besonders beglückte, war die Weinauswahl (für die ich in aller Unbescheidenheit selbst verantwortlich zeichne): Da war zum einen der 2019 Quincy von der Domaine Pierre Duret. Bereits dem Kalbsbries verlieh der Sauvignon Blanc von der Loire, der dank des georderten Rotweinglases im Laufe weniger Stunden sein volles Potenzial entfalten konnte, mit seiner Frische eine gewisse verspielte Leichtigkeit, ohne dabei die Ernsthaftigkeit und Differenziertheit der souverän konzipierten Vorspeise zu untergraben. Anschließend kam ich unverhofft in den Genuss der Kürbis-Cremesuppe in einer Zwischengang-Probierportion – und was der Wein dazu aufführte, war geradezu überwältigend: Die erdigen Noten der Suppe und die Mineralität des Weins... verschmolzen nicht, nein, sie gefroren förmlich (wenngleich die Suppe natürlich heiß war und bleib) zu einer in sich geschlossenen Einheit, auf der die Zitrus- und Blütenaromen des Sauvignon, plötzlich ergänzt um Noten von Mirabellen, eine Weltmeisterschaft im Eiskunstlauf vollführten (man verzeihe mir die Pathetik). Ich hätte diesen Wein niemals selbst zu diesem Gericht ausgewählt, doch es ergab sich eben so und erweis sich als kulinarische Sternstunde.

2014 Bourgogne Aligoté von Jean-Jacques GirardZum darauf folgenden Steinbutt mit Karotten (in zweierlei Aggregatzuständen), Kartoffeln und Lauchzwiebeln begab sich der Wein aromatisch gewissermaßen, dem Wurzelgemüse folgend, unter die Erde: deutlich kräuterige Aromen, aus Limette wurde Zitronenmelisse, dazu Fenchelnoten und Anklänge an Holunderblüten, insgesamt erdig-würzig geprägt. Danach bot ein reintöniges, nachhaltiges Mirabellen-Sorbet mit Limoncello willkommene Erfrischung, bevor zum Käsegang – Délice aux truffes mit Honig und Salat, gemäß Speisekarte eigentlich eine Vorspeise, doch auch an dieser Stelle der Menü-Dramaturgie vollständig überzeugend – ein anderer Wein zu glänzen verstand: der 2014 Bourgogne Aligoté von Jean-Jacques Girard, vegetabil und nussig in der Aromatik, dazu animierend, mineralisch und ausgewogen. Einmal mehr: Mut zur Reife – ein kongenialer Partner!

Zum Dessert (karamellisierte Banane mit Bourbon-Vanilleeis, Haselnuss-Espuma und Karamellsauce) fügte sich schließlich der 2016 Muscat de Rivesaltes von der Domaine Boudau bestens ein.

Wieder einmal vergingen fünfeinhalb (!) äußerst genussreiche Stunden wie im Fluge; ich danke Familie Theumer, dem Küchenteam um Patrick und dem Serviceteam um Christina Morbitzer für die leidenschaftlich gelebte Gastfreundschaft und wünsche uns allen, ebenso wie allen Leserinnen und Lesern dieses Beitrags, Gesundheit und Zuversicht bis hoffentlich im Dezember.“

Dass sich diese Dezember-Hoffnung rückblickend nicht erfüllte, ist inzwischen hinlänglich bekannt.


8. November 2020

2005 Syrah von PlanetaAm 5. November hätte eigentlich das neunjährige Jubiläum des „Fleur de Sel“ mit einem Menü und musikalischen Darbietungen von Yasemin Theumer gefeiert werden sollen, doch das war aus gegebenen Gründen bedauerlicherweise nicht möglich.

Ich öffnete stattdessen aus meinem Keller den 2005 Syrah vom sizilianischen Weingut Planeta, den ich im Sommer bei einem italienischen Feinkosthändler hier im Ort zum Sonderpreis erstanden hatte:

„Er duftet animalisch nach Waldboden, dunklen Beeren, gebratenen Pilzen und etwas ätherischen Kräutern und zeigt sich im Mund kraftvoll mit klarer Frucht von sehr reifen Brombeeren, eingemachten Pflaumen und dunklen Kirschen, Aromen von Gewürzen, etwas Pfeffer, Kräutern und etwas Tabak, feinem Tannin, animierender, feiner Säure, kühlem mineralischem Fundament und gutem Abgang. Nach einer halben Stunde präsentiert er sich vollmundig, geschliffen und sehr ausgewogen und ist auch nach eineinhalb Stunden noch stabil. Welche Freude!“


6. Dezember 2020

Sowohl an jedem der Adventssonntage als auch am Silvesterabend holte ich mir ein Menü im „Fleur de Sel“ ab; stellvertretend hier meine Impressionen vom Nikolaustag:

„Ohne Corona würde ich sicher nicht jedes Wochenende ins ‚Fleur de Sel‘ gehen. Unter den gegebenen Umständen jedoch freue ich mich, Familie Theumer und das Team zu unterstützen und mir gleichzeitig an jedem Adventssonntag eine gigantische Portion Genuss nach Hause zu holen; heute waren es vier Gänge.

2014 Cayrol Carignan Vieilles Vignes von der Domaine LafageAls erstes die Quiche mit Ziegenkäse, Walnüssen und sautierten Feigen an Feldsalat: Alles ausgesprochen fein aufeinander abgestimmt, jede der Komponenten kommt zur Geltung, keine dominiert... So viel Harmonie und Wohlgeschmack auf so einem kleinen Teller – diese Vorspeise sollte man zum Klassiker erheben (ebenso wie das unvergessliche Wildlachs-Tatar von Patrick).

Danach (wieder) die Petersilienwurzel-Cremesuppe mit Croutons, Schnittlauch und Crème fraîche: fein, sämig und ausgewogen mit erdig-nussigem Grundton.

Als Hauptgang das Wildgulasch in Bordeauxjus mit Kartoffelpüree und Preiselbeer-Zimtrotkohl: butterzartes Fleisch, aromenstarke Sauce, herrlich schlotziges Püree und fein süßliches Rotkraut – ein gehaltvolles winterliches Wohlfühlgericht! Dazu brillierte (aus meinem eigenen Keller) der (bereits 24 Stunden offene) 2014 Cayrol von der Domaine Lafage aus dem Roussillon von alten Carignan-Rebstöcken: geschliffen, saftig und kraftvoll mit Aromen von reifen dunklen Beeren, Zimt, Tabak und Leder.

Als Dessert (wieder) die blanchierte Weißweinbirne mit Zimtmousse, kandierten Mandelstiften, Pistazien und Schokoladensauce: Die Birne war diesmal reifer (und daher süßlicher und weicher) als beim letzten Mal und passte damit geschmacklich noch besser zur Zimtmousse und zur Schokoladensauce – ein gelungener, beglückender Abschluss.

So ein Menü kann man übrigens auch zu Hause auf drei Stunden ausdehnen, denn die warmen Gerichte halten sich bei etwa 80 Grad im Ofen in der Verpackung tadellos.
Merci beaucoup!“


10. Januar 2021

Lange ruhte in meinem Keller der 2012 Ballarino vom toskanischen Weingut Valdonica – bis ich ihn nun zu seinem eigenen Trinkanlass machte:

2012 Ballarino von Valdonica„Dieser reinsortige Vermentino von Dr. Martin Kerres, der sechs Monate im Stahltank und sechs Monate im Holzfass ausgebaut wurde, – erworben bei Bernd Klingenbrunn und Armin Busch von K&M Gutsweine in Frankfurt – hat mehrere Jahre in meinem Keller auf seinen Einsatz gewartet. Heute (also gestern) habe ich ihn auserkoren, um zwei Gänge aus der Küche des ‚Fleur de Sei‘ von Patrick Theumer sowie anschließend einen Video-Chat mit Freundinnen zu begleiten.

Unmittelbar nach dem Öffnen der Flasche zeigte er in der Nase Aromen von Mandeln, Birnen, Aprikosen, Kräutern, Vanille, Blüten und Nüssen und präsentierte sich im Mund geradlinig, nachhaltig und mineralisch mit Noten von Birnen, Äpfeln, Mirabellen und etwas Vanille, pflanzlich-würzigen und nussigen Tönen, animierender, feiner Säure, ausgeprägtem Schmelz und einem feinsaftigen, guten bis sehr guten Abgang. Nach einer halben Stunde offenbarte er Noten von gratinierten Aprikosen und Zitrusfrüchten, unterlegt mit salziger Mineralität.

Mein erster Gang war eine Karotten-Pastinaken-Cremesuppe mit gebratener argentinischer Rotschwanz-Garnele, Crème fraîche, Frühlingslauch und Croutons. Zu der fein abgestimmten Suppe mit erdigem Grundton wurde der Wein aromatisch fast transparent und reduzierte sich auf seine Textur: Was blieb, waren Schmelz und mineralischer Griff. Zusammen mit der Garnele verschmolzen die nussigen Aromen beider Partner, und das Krustentier wurde von der Mineralität förmlich eingehüllt.

Nach einer Dreiviertelstunde war der Wein geprägt von Marzipan, Röstnoten, Kräutern, Haselnüssen, einem Korb gelber Früchte, Zitronengras, wohl dosierter Kraft, animierender Säure, einem salzig-mineralischen Fundament, Saft und feinem Schmelz.

Geschmorter Kürbis und gebratene Kartoffeln mit Ziegenfrischkäse und ParmesanrisottoDer zweite Gang bestand aus geschmortem Kürbis und gebratenen Kartoffelscheiben mit Ziegenfrischkäse und Kürbiskernen auf Parmesanrisotto und Kürbiskernöl – zweifellos das raffinierteste vegetarische Gericht, das ich bisher gegessen habe, ebenso vielschichtig wie stimmig und aromenstark. Ich wusste im Vorhinein nicht, wie diese Kreation komponiert sein würde, doch ich dachte mir, dass der Wein dazu gut passen könnte. Und er erwies sich als absoluter Volltreffer: Ob Kürbis, Kartoffel, Ziegenkäse, Parmesan, Reis, Kürbiskerne oder Frühlingslauch – er diffundierte durch alle Komponenten und brachte sie noch mehr zum Strahlen. Selten habe ich eine solche kulinarische Harmonie erleben dürfen!

Das größte Kompliment, das man diesem Wein machen kann, ist vielleicht die Tatsache, dass ich die Flasche innerhalb von knapp sechs Stunden mit unbändigem Vergnügen und Genuss wie selbstverständlich leer trank und dass ich mich noch immer völlig beschwingt und unbeschwert fühle. Morgen – wen kümmert das? Ich bin im Endorphinrausch…“


30. Januar 2021

2006 Ex vero II von WerlitschDer Geburtstag meines Vaters, und nicht nur zu seinen Ehren gönnte ich mir wiederum drei Gänge aus der Küche des „Fleur de Sel“:

„Zum herrlich puristischen Carpaccio vom Rinderfilet mit Feldsalat, Parmesan, Pesto, Pinienkernen und Kürbiskernöl gab es heute Abend den 2006 Ex vero III vom Weingut Werlitsch aus der Steiermark: einen gereiften, mineralisch geprägten weißen Naturwein aus Chardonnay und Sauvignon Blanc, der sich über mehrere Tage oder sogar Wochen trinkt – diese Flasche war bereits an ihrem Tag acht – und sich dabei ständig verändert; konstitutiv sind Noten von teilweise getrockneten Orangen und Aprikosen, gerösteten Nüssen und teilweise getrockneten Kräutern sowie die erwähnte feste, intensive Mineralität. Zusammen mit dem rohen Fleisch wurde er hier noch präziser, ohne dabei an Komplexität zu verlieren.

Der Hauptgang – Kalbsrollbraten mit Champignons à la crème, Vichy-Karotten und Kroketten – war ein geradezu sensationelles Wohlfühlgericht: ein kapitales, butterzartes Stück Fleisch, sehr schmackhafte, feine Sauce, die Pilze und die Karotten auf wundersame Weise immer noch bissfest und die Kroketten auch nach einer Stunde im Ofen (warmgehalten bei 80 Grad) noch knusprig. Wirklich so gut, dass man vor Beglückung schreien möchte – was ich zu Hause nach Belieben tun kann... und getan habe. Dazu von der Restaurant-Weinkarte den 2015 Caramany Vieilles Vignes von Château Mauléon, der im Glas nach zehn Minuten erstrahlte wie ein Leuchtfeuer (apropos: Leseempfehlung ‚Der Leuchtturm‘ von Jean-Pierre Abraham).

Als Dessert kam der mit Haselnussmousse gefüllte Éclair mit Pistazien und frischem Obst auf den Tisch – ein klassischer, wonniger Abschluss.

2015 Caramany Vieilles Vignes von Château MauléonDanke, liebe Familie Theumer, für einen abermals lukullischen Samstag Abend!“

Meine erste Begegnung mit dem Château Mauléon hatte ich im Restaurant am – das kann ich genau nachvollziehen – 26. Oktober 2019 und war schon damals völlig euphorisch:

„Man bekommt die Nase nicht aus dem Glas, so animierend und vielschichtig ist das. Um zu trinken, muss man aber. Und dann ist da erst mal nur Eleganz, die sich nach einigen Sekunden dazu herablässt, einen Blick auf ihre Bausteine zu gewähren – wie ein magischer Schleier, der sich lüftet: geschliffene Frucht (Brombeeren, Kirschen, Feigen), feine Würze (Tabak, Vanille, Zimt), kühler Saft, Mineralität und Nachhaltigkeit. Ich weiß nicht, wie lange die Flasche, aus der mir ausgeschenkt wurde, schon offen war, aber ich weiß, dass ich diesen Wein so, wie ich ihn genossen habe, bedingungslos liebe.“


6. Februar 2021

„Der Lockdown – ich verabscheue dieses Wort, nicht nur wegen seiner Bedeutung, sondern weil es einfach einfallslos aus dem Englischen importiert wurde... haben wir keinen deutschen Begriff dafür? – ... also, der Lockdown wird uns noch einige Zeit erhalten bleiben. Daher bin ich sehr dankbar dafür, dass das ‚Fleur de Sel‘ von Familie Theumer in meiner unmittelbaren Nachbarschaft an jedem Wochenende mit einer jeweils wechselnden Karte Gerichte zum Abholen (ja, ‚to go‘ wäre kürzer gewesen, aber dann hätte ich mir selbst widersprochen, siehe oben) anbietet.

2018 Mâcon-Bussières von der Domaine Sangouard-GuyotSo kann man sich einen genussvollen Samstag Abend bereiten – beginnend mit der [fein abgeschmeckten und herrlich samtigen] Gemüse-Velouté mit Crème fraîche, gefolgt von der [köstlich kross] auf der Haut gebratenen Eismeerforelle mit [sämigem und – ich meine, das ist Sellerie, das muss man erst mal schaffen – finessenreichem] Knollenselleriepüree, gratinierter Kartoffel und [raffinierter] gebratener Karotten-Brunoise. Der Wein dazu (aus meinem eigenen Keller) erwies sich als Volltreffer: Der 2018 Mâcon-Bussières von der Domaine Sangouard-Guyot begleitete diesen [ausgesprochen gelungenen] Fisch-Hauptgang vortrefflich – mit Aromen von Aprikosen und Zitrusfrüchten, zarten Röstnoten, Anklängen an Karamell sowie Schmelz und ausgeprägter Mineralität. Mit zunehmendem Luftkontakt offenbarte er immer mehr von seinem muskulösen und eleganten Körper (ja, wir reden immer noch über Wein) und hatte somit auch genug Kraft, um dem mediterranen (!) Umfeld mit Kräutern und Oliven, in dem sich die Eismeer(!)-Forelle wiederfand, gerecht zu werden. Den Abschluss des selbst zusammengestellten dreigängigen Menüs bildete die [zum Niederkien gute] dunkle Schokoladentarte mit frischen Beeren [wer auch immer die brauchte... Schokoladentarte! Hallo? Danach hör ich gar nicht mehr zu…].

2Sommernachtskonzert 2020 der Wiener Phirharmoniker vor Schloss SchönbrunnZur Begleitung dieses kulinarischen Programms holte ich mir mit dem aufgezeichneten Sommernachtskonzert aus dem vergangenen Jahr die Wiener Philharmoniker ins Haus und gab mich einem Moment der nostalgischen Sehnsucht hin: ‚Dort, wo ich glücklich und selig bin, ist Wien, ist Wien, mein Wien.‘ Im Herbst dieses Jahres wird mein praktisches Studiensemester dort, seit dem ich dieser Stadt verfallen bin, ein Vierteljahrhundert her sein. Und spätestens dann werde ich wieder dorthin reisen. Und bis dahin habe ich das ‚Fleur de Sel‘, meinen Weinkeller und Videochat-Programme – und im Zweifelsfall genug Arbeit, um mich abzulenken…"


15. Februar 2021

„Das Wochenende war arbeitsreich, aber das viergängige Valentinsmenü vom ‚Fleur de Sel‘ gestern Abend dafür eine mehr als würdige Belohnung. Erstmals wurden passend zu Patricks exzellenten Kreationen auch Wein und Champagner angeboten, und Yasemin hatte extra für diesen Anlass Pralinen handgefertigt, die man ebenfalls mitnehmen konnte. Gratis bekam jeder Gast von ihr und Christina Morbitzer eine rote Rose und eine Kerze, um den Tisch zu Hause noch festlicher und romantischer zu gestalten, sowie einen liebevollen Gästebrief von Familie Theumer.

2012 Château Garraud Lalande-de-PomerolMusik aus Frankreich holte ich mir – zunächst – in Form der beiden ersten Sinfonien von Camille Saint-Saëns ins Haus und genoss zum formidablen Essen zwei Weine aus dem Keller des Restaurants, allerdings bereits ausgelistete Jahrgänge (für solche Schätzchen bin ich ja immer zu haben). Und der 2012 Château Garraud Lalande-de-Pomerol in der halben Flasche erwies sich als nachgerade überwältigender Glücksgriff:

Die ersten Eindrücke sind Noten von Leder, teilweise angetrockneten Brombeeren und Pflaumenmus sowie bereits von Anfang an Schliff, Kraft und Eleganz. Nach 30 Minuten im Glas wird er ätherisch mit Anklängen an Eukalyptus, zeigt Aromen von reifen Kirschen sowie florale Noten und feines Tannin. Nach weiteren 15 Minuten offenbart der Wein seine ganz Finesse und präsentiert sich saftig und geradlinig mit Aromen von Kirsch- und Orangenblüten, roten Früchten und Lakritz sowie kühler Mineralität. Nach insgesamt 60 Minuten im Glas hat er seine volle Form erreicht: Noten von Kakao, dunklen Früchten, reifen Himbeeren, Leder, Waldboden, Gewürznelken und Kräutern – ein kühler, feiner, mineralisch unterlegter Saft mit Schmelz und Schliff. Wahrlich ein beeindruckendes Trinkvergnügen!

Sollte man irgendwann einmal hinterfragen, wieso um Bordeaux immer so ein Brimborium veranstaltet wird: Eine solche Sternstunde rückt dann schnell und nachhaltig das Koordinatensystem wieder zurecht. Enchanté!“


26. Februar 2021

„Vorgestern stimmungsvolle Südfrankreich-Lehrverkostung für die Kolleginnen und Kollegen bei Vicampo, heute erfolgreicher Webinar-Tag für angehende F&B-Managerinnen und -Manager bei der IHK Freudenstadt – da ist zum Wochenabschluss eine kulinarische Belohnung opportun: mit drei Gängen vom ‚Fleur de Sel‘.

2015 Château Cantinot Blaye Côtes de BordeauxDie getrüffelte Tomaten-Cremesuppe mit Taggiasca-Oliven, Frühlingslauch, Parmesan, Crème fraîche und Croutons vorweg war intensiv fruchtig und erhielt raffinierte würzige Akzente durch die Oliven und den Lauch. Dazu passte sehr gut eine Rosé-Cuvée aus der Gascogne von der Domaine de Malartic.

Die schmackhafte Keule vom Schwarzfederhuhn anschließend war wirklich kross gebraten, dazu gab es ein perfektes Gratin dauphinois, knackige Karotten-Zucchini-Spaghetti und eine feine Portweinjus. Mein stimmiger Begleiter dazu war der 2015 Château Cantinot Blaye Côtes de Bordeaux mit Aromen von schwarzen Johannisbeeren, Brombeeren und Pflaumenmus, Noten von Waldboden, Leder, Gewürznelken und schwarzem Pfeffer, feinem Tannin und kühler Mineralität. Er braucht ordentlich Luft und präsentiert sich dann saftig, geschliffen und vollmundig mit ätherischen und floralen Tönen, animalischen Anklängen sowie Noten von dunklen Beeren, Kirschen und Kräutern.

Den Abschluss bildete als Dessert der saftig-weiche Canelé mit einer anbetungswürdigen Orangenmousse und Orangenfilets. Und: Yasemin hat wieder Pralinen gezaubert!

Einmal mehr: merci bien, liebe Theumers!“


28. Februar 2021

Eingang des Restaurants „Fleur de Sel“ in Maintal„Die Mitnahme-Karte (oder Außer-Haus-Karte, aber bitte nicht ‚to go‘) des ‚Fleur de Sel‘ ist diese Woche so attraktiv, dass ich nicht widerstehen konnte, an zwei Tagen zu bestellen. Für heute Abend wählte ich die Seeteufelmedaillons mit Safransauce, Kräuterrisotto und Paprika-Karotten-Gemüse. Und es war wieder einmal grandios! Der Fisch war auf den Punkt gebraten und saftig, der (ja, dieses Genus ist zulässig und sogar näher am italienischen Original) Risotto war von perfekter Konsistenz und differenziertem, vollendetem Geschmack, das Gemüse war eine subtile Bereicherung, und der Safran durchwirkte alles wie ein fein gewobener Schleier.

Patrick Theumer gelingt es bei jeder seiner – gern im künstlerischen Sinne verstandenen – Kreationen, sowohl ein harmonisches, aromenstarkes Ganzes zu schaffen, als auch dabei jede Komponente für sich wahrnehmbar bleiben zu lassen – alles ebenso hingebungsvoll wie äußerst sorgfältig und fachkundig zubereitet. Und es sind immer wieder die kleinen Details, die mich begeistern: Die hausgemachten gerösteten Mandelstifte bei vielen Desserts haben Suchtpotenzial, und ich habe bisher nirgendwo außer hier bei jeder Gelegenheit ausschließlich vollreife Physalis als Glas- oder Tellerdekoration bekommen – für viele Köche sind das anscheinend eher belanglose Schmuck-Beigaben, die dann säuerlich und grün schmecken; im ‚Fleur de Sel‘ dagegen kann man lernen, wie diese Frucht zu schmecken hat.

2008 Leithaberg weiß vom Weingut Erwin TinhofMein eigentliches Abendprogramm war – mit Verlaub – aber der Wein: der 2008 Leithaberg weiß von Erwin Tinhof und seinem Neffen Lukas Plöckinger in Eisenstadt, der Landeshauptstadt des Burgenlands. Der Wein ist eine Cuvée aus Neuburger und Weißburgunder und funkelt bernsteinfarben im Glas. Sein Alter verbirgt er nicht und zeigt durchaus deutliche Reifenoten: im Duft Aromen von Mandeln, Vanille, Blüten, Mirabellen und Zitrusfrüchten sowie Anklänge an Kräuter und geröstete Nüsse; im Mund ausgeprägte, fast salzige Mineralität, feine, animierende Säure und Schmelz, dahinter Noten von gratinierten Aprikosen und etwas Vanille sowie Anklänge an Äpfel und Birnen. Man merkt: Er setzt sich zusammen – eine sehr spannende Anfangsphase, weil sofort das gesamte Potenzial spürbar ist. Er ist wie ein Schwimmer, der langsam aus dem Wasser steigt und dessen Figur erst im Sonnenlicht in ihrer ganzen Größe und… ja, Schönheit sichtbar wird. Er bleibt lange am Gaumen, wird zunehmend saftig und feiner, im Nachhall erscheinen Aromen von Vanille-Zimt-Keksen mit Zitronenglasur sowie Zitronenmelisse.

Nach 20 Minuten präsentiert er sich geradezu abgeklärt: geradlinig und saftig mit Noten von Zitrusfrüchten und gelbem Kernobst, pflanzlichen und nussigen Tönen, salziger Mineralität, feiner Säure und Schmelz sowie einem guten bis sehr guten Abgang.

Entgegen meinen Erwartungen wirkte der Wein bei der Begegnung mit dem formidablen Fischgericht allerdings zunächst ein wenig ratlos und zog sich auf seine Mineralität zurück. Im Hintergrund schien er Anknüpfungspunkte zu suchen – und fand sie nach einigen Minuten: Er gab als erstes die nussigen Aromen frei, dann ‚verdunkelte‘ er seine Frucht und ‚verschob‘ sie in Richtung Steinobst, schließlich fand er auch seinen Saft und Schmelz wieder. Am Ende stand eine stimmige, sehr überzeugende Kombination.

Nach 90 Minuten – sicher der Höhepunkt – zeigt er im Duft Noten von Esskastanien, teilweise getrockneten Aprikosen, teilweise kandierten Zitrusfrüchten und Kräutern, der Gaumeneindruck ist geprägt von Aromen von Orangen- und Pfirsichlikör, Haselnüssen und Aprikosen, Anklängen an Nougat, Kräuter und Zimt, animierender Säure, einem festen, mineralischen Fundament, Saft und Schmelz sowie einem sehr guten Abgang.

Abendliche Außenansicht des Restaurants „Fleur de Sel“ in MaintalEtwa vier bis sechs Stunden hält er nach dem Öffnen der Flasche durch, dann wird er allmählich müde, die Aromatik verklingt langsam (so, wie ein Nebel sich auflöst) und geht zuletzt ins Nussig-Erdige. Was bleibt, sind die unverbrüchliche, zupackende Mineralität, die persistente, dabei aber noch immer feine Säure und die bemerkenswerte Saftigkeit. Ein faszinierender, charaktervoller Wein – entstanden, noch bevor das Weinbaugebiet Leithaberg für Weißweine den DAC-Status festlegte und bevor das Weingut Tinhof biozertifiziert wurde. Es war gut, ihn heute Abend seiner Bestimmung zuzuführen – und als kulinarischer Begleiter hat er seine letzte Aufgabe exzellent gemeistert.“

Dass der Wein tatsächlich nur eingeschlafen war und nicht bereits vollständig sein Leben ausgehaucht hatte, merkte ich, als ich zwei Tage später das letzte Achterl aus der (zwischenzeitlich verschlossen und gekühlt aufbewahrten) Flasche im Glas hatte: Er war völlig ruhig und zeichnete sich noch immer durch Mineralität, Saft und Schmelz aus – sowie durch eine nachgerade souverän zu nennende Finesse, die ich in dieser „finalen Phase“ nicht mehr erwartet hätte und die schließlich noch einmal die ganze Erhabenheit dieses Leithaberg-Gewächses offenbarte.