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Im Jahr 2020 wurden aufgrund der Corona-Pandemie ab Mitte März sämtliche Weinmessen abgesagt, allen voran die ProWein in Düsseldorf und die VieVinum in Wien, die zuerst verschoben werden sollten, aber schließlich ganz ausfielen – sowohl im vergangenen als auch in diesem Jahr. Auch darüber hinaus gab es so gut wie keine Weinveranstaltungen.

Ab dem zweiten Halbjahr verlagerte sich dafür vieles in den digitalen Raum: Online-Weinproben, -Seminare,
-Präsentationen und -Messen wie etwa die WeinTour des Deutschen Weininstituts sind seitdem das neue Format. Dennoch gab es auf diese Weise in den vergangenen zwölf Monaten kaum Berichtenswertes in der gewohnten Form, so dass die Rubrik „VinoBlog 2020“ entfällt.

Gleichwohl erschien in der Rubrik „Hochgeistiges“ auch im vergangenen Jahr jeden Monat eine Spirituosen-Kolumne von mir im ef-Magazin. Die gesammelten Kolumnen 2020 habe ich nachfolgend wieder hier im Blog zusammengestellt.

Himbeere total

Gilbert Holl Framboise Sauvage

ef 199 – Januar/Februar 2020

Gilbert Holl war 28 Jahre alt und bei einer Winzergenossenschaft für das Spirituosengeschäft verantwortlich, als er 1979 im Erdgeschoss seines Hauses im elsässischen Ribeauvillé einen kleinen Laden einrichtete, in dem er regionale Produkte zur Verkostung anbot und verkaufte. Das war der Anfang der heutigen Destillerie.

Von 1981 bis 1984 erlernte Holl von einem befreundeten alten Brenner die Grundlagen der Destillation und gab schließlich 1987 seine Tätigkeit bei der Winzergenossenschaft auf, um sich fortan nur noch der Herstellung und Vermarktung eigener Destillate zu widmen. Heute erzeugt er aus Früchten, wilden Beeren, Blüten, Wurzeln, Körnern und sogar Gemüse mehr als 60 Brände und Liköre, darunter Spirituosen aus Sauerkraut, Ingwer und Lebkuchen sowie Gin und den Whisky „Lac’Holl“.

Gilbert Holls Ziel sind, wie er sagt, Destillate, die „die Seele der Frucht offenbaren“. Dafür werden nur äußerst sorgfältig ausgewählte Ausgangsstoffe verwendet und die vergorenen oder mazerierten Früchte zweimal in kupfernen Brennblasen von 80 bis 150 Litern Fassungsvermögen destilliert.

Das Eau-de-vie de Framboise Sauvage war für mich eine Art Erweckungserlebnis: Destillieren heißt konzentrieren, verfeinern und purifizieren (sowohl im Sinne von reinigen als auch von veredeln). Der Brand aus wilden Himbeeren mit 45 Volumenprozent Alkohol zeigt im Duft Himbeere in reinster, integraler Form – mit reifen Früchten, Kernen, Blättern und Blüten – und offenbart auch im Mund Himbeere in allen vorstellbaren Aggregatzuständen: pur, intensiv, sehr fein und lang.

Wer sich diesen Brand einschenk(en läss)t, muss Himbeeren lieben. Dann wird er sich – so erging es mir – an der Schwelle des sensorischen Lustempfindens wiederfinden, minutenlang durchströmt von feinen, reintönigen, wohligen Himbeer-Wellen. Man kann dieses Eau-de-vie nur in ganz kleinen Schlucken trinken, weil man sonst Gefahr liefe, in einem endlos tiefen, gewaltigen Himbeer-Meer zu versinken und einen sinnlichen Kollaps zu erleiden.

Experiment der Koryphäen

Glenfiddich Project XX

ef 200 – März 2020

In Dufftown in der Region Speyside im Nordosten der schottischen Highlands liegt die Whiskybrennerei Glenfiddich. 1886 verwirklichte hier im „Tal der Hirsche“ – das bedeutet der Name der Destillerie übersetzt – William Grant gemeinsam mit seinen neun Kindern seinen Lebenstraum, und bereits ein Jahr nach Baubeginn ging die Brennerei in Betrieb.

Nach und nach kaufte die weitsichtige Familie das gesamte Umland auf, um Verunreinigungen des für die Whiskyproduktion verwendeten Wassers der Robbie-Dubh-Quelle durch andere Unternehmen zu verhindern. Ende der 1950er Jahre entstanden eine hauseigene Kupferschmiede für die Brennblasen sowie eine eigene Küferei für die Holzfässer, so dass wichtige Teile der Wertschöpfungskette internalisiert sind. Heute ist Glenfiddich nicht nur eine der größten Destillerien Schottlands, sondern auch die älteste, die sich noch im Besitz der Gründerfamilie befindet.

Beim Namen dieses Scotch Whiskys wurde nicht etwa vergessen, Platzhalter-Buchstaben zu ersetzen, und es geht auch nicht um ein mysteriöses „Projekt Doppel-X“, sondern um die römische Zahl 20, so dass der Single Malt ausgesprochen „Project Twenty“ heißt.

Geheim war der Beginn des Projekts allerdings schon: Ohne vorher den Grund dafür zu offenbaren, lud die Destillerie 20 internationale Whiskyexperten in ihr Conval Warehouse ein. Dort dufte jede und jeder das gesamte Lagerhaus begutachten und unter den Tausenden von Fässern ihren bzw. seinen Whiskyfavoriten auswählen. Aus diesen 20 Favoriten – 17 im ehemaligen Bourbon-Fass, zwei im Sherry- und einer im Portweinfass gereift – komponierte Brian Kinsman, Malt Master von Glenfiddich, dann den Project XX, der mit 47 Volumenprozent Alkohol in der „Experimental Series“ abgefüllt wurde.

Der Duft erinnert an Karamell, Heu, Rauch, Zuckersirup, Marzipan, Tabak und getrocknete Kräuter, im Mund ist der Whisky kraftvoll und nachhaltig mit Aromen von Honig, Nadelholz, Tabak, Rauch und teilweise eingemachten Aprikosen. Ein sehr gelungenes Experiment!

Wundervolle Hagebutte

Hepp Les Plaisirs du Verger Gratte Cul

ef 201 – April 2020

„Die Freuden des Obstgartens“ heißt die Linie dieser Brände poetisch – der Name der Frucht mutet dagegen geradezu vulgär an: „Hinternkratzer“ bedeutet Gratte Cul übersetzt in etwa. Was hat es damit auf sich?

Gemeint ist die Hagebutte, und um die populäre französische Bezeichnung zu verstehen, muss man ein bisschen in die Botanik einsteigen: Die Hagebutte – die Frucht der Rose – ist eine sogenannte Sammelnussfrucht, d.h. sie enthält viele kleine Nüsschen, die eingebettet sind in das Fruchtfleisch des becherförmigen Blütenbodens. Diese Nüsschen haben feine Härchen mit Widerhaken, die kratzen und jucken, wenn sie mit der Haut in Berührung kommen. Das erklärt den umgangssprachlichen französischen Namen. Offiziell lautet dieser allerdings Cynorhodon, aus dem Griechischen übersetzt „Hundsrose". Diese Rosenart heißt auch auf Deutsch so und hat ihre Bezeichnung wohl daher, dass sie als Heilmittel gegen Tollwut galt, die oft von Hunden übertragen wurde. Der deutsche Name der Frucht erklärt sich wahrscheinlich aus „Butz(en)“ für Kerngehäuse und „hagan“ (ahd.) für Dornenstrauch.

Diese Früchte kann man nun also auch brennen. Das tut unter anderem die Destillerie Hepp im elsässischen Uberach, etwa 30 Kilometer nördlich von Straßburg. Seit fast 50 Jahren besteht die Brennerei und erzeugt Destillate aus Früchten und anderen Pflanzen sowie Liköre und Whisky. Nur allerbeste, penibel ausgewählte Rohstoffe werden verwendet; Beeren werden vier Wochen in Branntwein mazeriert, die übrigen Früchte werden innerhalb von sechs Wochen mit natürlichen Hefen vergoren. Die Destillation erfolgt dann in drei kupfernen Brennblasen à 450 Liter.

Der Hagebuttenbrand hat 45 Volumenprozent Alkohol und duftet kernig nach roten Früchten und Kräutern. Im Mund erscheinen Aromen von Hagebutten, Kirschen und Beeren (vor allem Himbeeren) sowie erdige und kräuterige Noten, der Geschmack ist herb und nachhaltig.

Ein Charmeur in Paris

Ducastaing Armagnac VSOP

ef 202 – Mai 2020

Nach einem exzellenten Abendessen in einem herrlichen Restaurant in Paris im vergangenen Jahr ließ ich meinen Blick – mein Tisch stand entsprechend günstig – über das Spirituosenregal hinter der Theke wandern. Ich saß zwar zu weit weg, als dass ich die Etiketten auch nur ansatzweise hätte lesen können, doch die Form einer der Flaschen ließ mich vermuten, dass sich darin ein Armagnac befand. Auf meine Nachfrage hin bestätigte die Kellnerin das freudig, und so lernte ich den Armagnac VSOP von Ducastaing kennen.

Das Haus Ducastaing hat seinen Ursprung in Condom, der „Hauptstadt“ des Armagnacs im Département Gers im französischen Südwesten, das zur Region Okzitanien gehört. Inzwischen ist die Marke in der Unternehmensgruppe La Martiniquaise aufgegangen. Die Abkürzung VSOP steht für „Very Superior Old Pale“ (sehr hochwertig, alt und blass) und bezeichnet einen Weinbrand, der mindestens vier Jahre im Holzfass gereift ist. Im Falle des Destillats von Ducastaing haben die Fässer ein Volumen von 400 Litern, und die verwendeten Trauben sind die für Armagnac typischen Rebsorten Folle Blanche, Ugni Blanc und Baco.

Dieser Brand ist ein Charmeur und insofern in keiner Weise kompliziert – er ist sofort zugänglich und macht einfach viel Freude. Mit 40 Volumenprozent Alkohol hat er die übliche Stärke für einen Digestif, sein Duft erinnert an Heu, teilweise eingemachte und getrocknete Aprikosen, Karamell und blanchierte Mandeln. Den Mund füllt er mit Aromen von gerösteten Nüssen und getrockneten Pflaumen, und in seinem weichen, langen Abgang schwingen Noten von Nougat mit.

Für mich war dieser Armagnac an jenem Abend in Paris ein würdiger und genussvoller Abschluss, und was das Preis-Qualitäts-Verhältnis betrifft, hat der Ducastaing VSOP wirklich sehr viel zu bieten.

Ach ja: Das Restaurant heißt übrigens „Chez Paul“ und liegt im 11. Arrondissement, und nachdem die Restriktionen aufgrund der Corona-Pandemie irgendwann aufgehoben worden sein werden, empfehle ich einen Besuch dort.

Grappa squisita

Aqvileia La Centenara Grappa Gran Riserva 10 anni

ef 203 – Juni 2020

1918, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, begann die Familie Comar mit der Destillation von Grappa: dem Brennen von Trester, also den festen Rückständen, die nach dem Pressen von Weintrauben übrig bleiben (Fruchtfleisch, Schalen, Kerne). Das lag durchaus nahe, denn Flavio Comar, der damals die Distilleria Aqvileia gründete, war Önologe. Seit Mitte der 1960er Jahre ist die Destillerie in einem modernisierten Gebäude vor den Toren der namensgebenden Stadt Aquileia untergebracht, die in der Provinz Udine in der norditalienischen Region Friaul liegt. Die Stadt wurde 181 v. Chr. gegründet, gehört seit 1998 zum Weltkulturerbe der UNESCO und zählt heute knapp 3.400 Einwohner.

Inzwischen gehört die Brennerei Flavio Comars Sohn Alessandro, und auch dessen Schwester Leda sowie deren Mann Giorgio Grigolon arbeiten im Unternehmen – ein echter Familienbetrieb. Destilliert wird im diskontinuierlichen Verfahren in einem restaurierten historischen Brennkessel, der vom Ende des 19. Jahrhunderts stammt; für bestimmte Erzeugnisse kommen darüber hinaus ein Brennapparat von 1938 oder ein Kolonnenapparat von 1965 zum Einsatz. Tradition wird hier groß geschrieben.

Die Reifung der Destillate erfolgt ausschließlich in Fässern aus französischem oder slowenischem Eichenholz – so auch beim „La Centenara“. Er wird aus dem Trester von vier Rebsorten gebrannt: weißer Traminer, Riesling, Sauvignon Blanc und Malvasia. Als Gran Riserva reifte der Grappa anschließend zehn Jahre lang je zur Hälfte in gebrauchten französischen und slawonischen Eichenfässern mit 2.700 Litern Inhalt. Abgefüllt wird er mit 46 Volumenprozent Alkohol.

Sein feiner und komplexer Duft erinnert an Heu, Kräuter, weiße Schokolade, getrocknete Aprikosen und Tabak. Im Mund präsentiert er sich kraftvoll und nachhaltig mit Aromen von Heu, weißen Früchten, Zucker-Schokolinsen, Gras, Karamell, gerösteten Nüssen, Mus von gelben Früchten und Kräutern. Als Digestif mit seiner Finesse und Vielschichtigkeit sehr empfehlenswert!

Facetten der Wurzel

Reisetbauer Karottenbrand

ef 204 – Juli 2020

Für Spirituosen werden meist Getreide, Früchte, Kräuter oder auch Kartoffeln destilliert. Auch für Wurzeln hatten wir an dieser Stelle schon einmal ein Beispiel (Ingwer). Nun also geht es um ein veritables Gemüse: die Karotte.

Für die Destillation wird der jeweilige pflanzliche Grundstoff entweder eingemaischt (zerkleinert und gegebenenfalls mit Enzymen versetzt, um die enthaltene Stärke in Zucker aufzuspalten) und anschließend vergoren (mit Hefe versetzt, die den enthaltenen Zucker in Alkohol umwandelt) oder er wird mazeriert (in neutralen Alkohol eingelegt). Ziel ist es, die Aromastoffe zu extrahieren. Die vergorene Maische bzw. das Mazerat wird anschließend gebrannt, wobei die in Alkohol gelösten Aromastoffe konzentriert werden.

Destillation bedeutet also, Aromen zu verdichten und zu verfeinern. Und manchmal kann man sogar die gesamte Pflanze mit ihrem kompletten Vegetationszyklus und dem Terroir ihrer Heimat aromatisch einfangen. So schien es mir beim Karottenbrand von Hans Reisetbauer.

Er ist einer von 24 Edelbränden, die Reisetbauer auf seinem Hof im oberösterreichischen Axberg in der Nähe von Linz produziert, größtenteils aus eigenen Bio-Früchten; darüber hinaus erzeugt er Gin, Whisky und Wodka. Für einen Liter des Karottenbrands werden mindestens 35 Kilogramm Karotten verwendet. Sie werden gewaschen, fein zerkleinert und mit natürlichen Enzymen verflüssigt. Diese Maische wird dann in Edelstahltanks acht bis zehn Tage lang vergoren und anschließend in 300-Liter-Kupferkesseln zweifach destilliert. Das Quellwasser, mit dem der Brand schließlich auf die Trinkstärke von 41,5 Volumenprozent Alkohol gebracht wird, stammt von einer Alm im Mühlviertel.

Der Brand duftet erdig nach Wurzeln, Karotten und Karottengrün, und auch im Mund verbinden sich Aromen von Karotten, Blüten und Karottengrün mit erdigen Noten. Es ist, als legte man sich auf den Boden des Karottenfeldes und hielte die Nase genau dorthin, wo die Pflanze aus der Erde sprießt – und atmete dann tief ein.

Authentisch kubanisch

Cienfuegos Ron Refino

ef 205 – August/September 2020

Cienfuegos liegt an der Südküste Kubas, rund 240 Kilometer südöstlich von Havanna entfernt, an der Jagua-Bucht. Mit rund 170.000 Einwohnern ist die Stadt die sechstgrößte des Landes und verdankt ihren Namen – der übersetzt „hundert Feuer“ bedeutet – nicht etwa einer inflationären Anzahl von Leuchttürmen an der Küste, sondern dem früheren spanischen Generalgouverneur José Cienfuegos Jovellanos, nach dem sie 1829 benannt wurde.

Die Bucht und das sie umgebende Land wurden bereits von den Ureinwohnern „Jagua“ genannt und 1494 erstmals von Christoph Kolumbus erwähnt. Nachdem die Gegend zunächst von spanischem Einwanderern besiedelt worden war, wurde 1745 eine Festung errichtet. Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Siedlung und der Hafen weiter ausgebaut, und 1819 ließen sich auch französische Siedler hier nieder. Zu Ehren des spanischen Königs Fernando VII. erhielt die Kolonie nun den Namen Fernandina de Jagua. 1825 zerstörte ein schwerer Sturm große Teile des Ortes, und nach seinem Wiederaufbau unter Führung des immigrierten französischen Stadtplaners Luis Jean de Clouet erfolgte die Umbenennung in Cienfuegos.

Seit dem 19. Jahrhundert ist die Stadt ein Zentrum der Zuckerindustrie, wobei die erste Zuckermühle bereits 1751 erbaut wurde. Die Rumfabrik Luis Arcos Bergnes ist eine kubanische „Basis-Geschäftseinheit“ (Unidad Empresarial de Base – UEB) der Getränkeindustrie und produziert den „Cienfuegos Ron Refino“ seit 1996; in der aktuellen Flaschenausstattung wird er seit 2012 angeboten und enthält etwa acht Prozent gereifte Destillate.

Mit 34 Volumenprozent Alkohol ist der gemäß seiner Bezeichnung „verfeinerte“ bzw. „veredelte“ Rum relativ mild und duftet nach Marzipan, Blüten und weißen Früchten, unterlegt mit herben, an Trester erinnernden Noten. Im Mund präsentiert er sich sehr fein und leicht wärmend mit dem authentischen Aroma von Läuterzucker sowie kräuterigen und nussigen Tönen. In Kuba ist er unbedingt alltagstauglich und dementsprechend angenehm unkompliziert.

Was länger reift…

Samalens Armagnac VSOP

ef 206 – Oktober 2020

Sucht und findet man in der Gastronomie einen Armagnac auf der Karte, stößt man oft auf den Namen Samalens. Dahinter verbirgt sich ein Familienbetrieb, der 1882 von Jean Samalens in Laujuzan gegründet wurde.

Rund 280 Einwohner zählt diese Gemeinde und liegt, umgeben von Weinbergen und Eichenwäldern, gut 75 Kilometer nordnordöstlich der Präfekturstadt Pau. Bereits die Vorfahren von Jean Samalens waren als Fassbinder und Brenner mit der Armagnac-Produktion verbunden, und heute führen Pierre und Philippe Samalens, die Ur-Urenkel des Gründers, die Destillerie. Sie verfügt über vier kupferne Brennblasen sowie vier Brennsäulen, die bereits mehr als 120 Jahre alt und bis auf die Umstellung auf Gasbefeuerung im Jahr 1962 unverändert erhalten sind. Die Trauben stammen ausschließlich aus dem Bas-Armagnac-Gebiet, das in der Klassifikation die höchsten Qualitäten hervorbringt – viele sogar aus den dortigen Spitzenlagen des Grand Bas Armagnac mit dem charakteristischen Sand-Lehm-Boden namens „Boulbène“. Das Schwarzeichenholz für die Fässer bezieht Samalens aus lokalen Wäldern; es lagert mindestens fünf Jahre, bevor es verarbeitet wird.

Samalens produziert Armagnac in neun Altersstufen – wobei in den Kellern noch Destillate vom Ende des 19. Jahrhunderts liegen – sowie sechs aromatisierte Varianten. Der VSOP (Very Superior Old Pale) reift mindestens acht Jahre im Fass, was dem Doppelten der für diese Kategorie vorgeschriebenen Mindestdauer entspricht. Er wird aus der Rebsorte Ugni Blanc gebrannt: zu 70 Prozent in kontinuierlicher und 30 Prozent in doppelter Destillation. Der Alkoholgehalt liegt bei 40 Volumenprozent.

Der Weinbrand duftet nach Vanille, gerösteten Mandeln, Zigarrentabak, getrockneten Pflaumen und Kirschen, Lavendel und etwas Rauch, im Mund entfaltet er Aromen von getrockneten Himbeeren und Moosbeeren, gerösteten Nüssen, hellem Tabak, Vanille, teilweise getrockneten Aprikosen sowie Orangenzesten – ein sehr feiner, nachhaltiger, geradezu transzendenter Genuss.

Natürlich Marille

Farthofer Marille Bio-Edelbrand

ef 207 – November 2020

Auf Hochdeutsch heißt die Marille Aprikose – aber wir sind in Österreich, also: Marille. Präzise gesagt, sind wir im niederösterreichischen Mostviertel, rund 130 Kilometer westlich von Wien.

Hier, in der Gemeinde Öhling, liegt der 1874 errichtete, denkmalgeschützte Vierkanthof, den Josef Farthofer in fünfter Familiengeneration betreibt. Auf 45 Hektar Streuobstwiesen und Feldern kultiviert der Bio-Landwirt überwiegend seltene, regionale Obst- und Getreidesorten und verarbeitet die Ernte seit 2003 komplett in seiner Bio-Destillerie – zu Bränden, Geisten, Likören sowie Gin, Rum, Wodka und Whisky; für den Whisky gibt es sogar eine eigene Mälzerei.

Von Beginn an arbeitet Farthofer konsequent biologisch; bereits in seiner Diplomarbeit beschäftigte sich der studierte Betriebswirt und Landwirtschaftspädagoge mit Nachhaltigkeit. Auf seinem Hof gilt ein eigener Öko-Kreislauf: Schlempe und Trester (die Brenn- und Pressrückstände) werden als Dünger und Viehfutter genutzt; die Obstkerne werden verheizt, ihre Asche dient wiederum als Dünger. Das kalkarme, durch Granit gefilterte Urgesteinswasser, das im Betrieb verwendet wird, stammt aus einer eigenen Quelle in einem Naturschutzgebiet auf familieneigenem Grundstück. Die Biomasse-Heizung wird mit selbst angebautem Elefantengras befeuert, Strom erzeugt eine Photovoltaikanlage. Zugekaufte Fruchtsorten und Gewürze kommen ebenfalls ausschließlich von biozertifizierten Kooperationspartnern.

Die Marille ist laut Josef Farthofer die größte Herausforderung beim Brennen, um auch die feinsten Aromen einzufangen. Die Früchte bezieht er aus der anerkannten Genussregion „Kittseer Marille“ im Burgenland, wo sie vom sonnenreichen pannonischen Klima profitieren. Der Bio-Edelbrand mit 40 Volumenprozent Alkohol duftet intensiv, reintönig und sehr fein nach reifen Aprikosen, auch Pfirsiche, Mandeln und Blüten klingen an. Im Mund zeigt sich wiederum konzentrierte Aprikosenfrucht – kraftvoll, kernig, fleischig, vielschichtig und nachhaltig.

Gelungenes Gemeinschaftswerk

Chicken Hill Gin

ef 208 – Dezember 2020

Die hessische Stadt Maintal liegt zwischen Frankfurt und Hanau und entstand durch den Zusammenschluss von vier Gemeinden. Einer dieser heutigen Stadtteile ist Wachenbuchen, und dort gibt es den Hühnerberg, die mit 197 Metern höchste Erhebung in Maintal. Außerdem befindet sich in Wachenbuchen der „Wein- & Whiskyshop“ von Familie Schultheis.

Auf einer Messe lernten Jörg und Frank Schultheis vor Jahren Alexander Hotz kennen. Hotz seinerseits ist Brenner und betreibt die Bachgau-Destille in Schaafheim-Radheim (zwischen Dieburg und Aschaffenburg gelegen), die 1954 von seiner Familie gegründet wurde. Hier produziert er Brände, Geiste, Liköre sowie Whisky, Rum und Gin aus regionalen Zutaten – traditionell gebrannt bei niedriger Temperatur in kleinen Kupferblasen.

Gemeinsam kreierten Hotz und die Schultheis-Brüder den „Chicken Hill Gin“, der – die Leserschaft mag es erahnen – seinem Namen eben jenem Hausberg von Maintal-Wachenbuchen verdankt; anglisiert, weil ja auch Gin ein englisches Wort ist. Ihn gibt es in drei Varianten, von denen ich zwei hier vorstellen will.

Für die klassische Version werden Wacholderbeeren zusammen mit Zesten und Fruchtfleisch von Orangen und Limetten etwa 18 Stunden in Neutralalkohol mazeriert und anschließend zweifach destilliert. Der fertige Brand hat dann 46 Volumenprozent Alkohol. Im Duft verschmelzen Aromen von Wacholder und Zitrusfrüchten mit Anklängen an Süßholz und Kräuter, im Mund präsentiert sich der Gin fein und differenziert mit Noten von Wacholder, Blutorangen und etwas Zitrone. Im langen Nachhall geht das über in Orangenmarmelade, und auch ein Hauch Süßholz macht sich wieder bemerkbar; ätherische Zitrusöle schmecken noch minutenlang nach.

Der „Chicken Hill Gin Spiced“ hat 50 Volumenprozent Alkohol und duftet nach Wacholder, Zitrusfrüchten und weihnachtlich anmutenden Gewürzen. Im Mund zeigt er neben Wacholder- und Zitrusnoten Aromen von weißem Pfeffer, Süßholz, Kardamom und Zimt – gerade zum Jahresende besonders stimmig.