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Was nach einer landsmannschaftlichen Zusammenkunft klingt, war in Wirklichkeit eine Weinprobe – veranstaltet wieder einmal von Harry H. Hochheimer in der Weinschänke „Zur alten Schmiede“ in Frankfurt-Nied. Über 35 Gäste waren gekommen, um ein Dutzend Weine – sechs aus Franken und sechs aus Bordeaux – kennenzulernen und sich mit deftigen Schmankerln verwöhnen zu lassen.

Die fränkischen Weine, ausschließlich weiß, kamen vom VDP-Weingut Juliusspital in Würzburg, das auch den Aperitif in Form eines Rotling-Perlweins namens „Echter Pink Secco“, gekeltert aus Domina, Müller-Thurgau und Silvaner, stellte. Für die Bordelaiser Gewächse, fünf davon rot, zeichneten bis auf einen die Domaines Lapalu verantwortlich, die Rebflächen im Médoc und Haut-Médoc bewirtschaften und zu denen die Châteaux Patache d‘Aux und Liversan sowie sechs weitere Weingüter gehören. Von beiden Häusern war jeweils eine ebenso charmante wie fachkundige Vertreterin anwesend und erläuterte die entsprechenden Weine. Harry H. Hochheimer übernahm die Moderation des Abends, und Chris Hörle und ihr Team von der „Schmiede“ versahen den aufmerksamen Service.

Couvert mit Teller, Besteck, Gläsern und der Broschüre mit der ProbenfolgeEs war eine stimmungsvolle, genussorientierte und lehrreiche Veranstaltung, für die sich an unserem Tisch gleich am Anfang das passende Motto prägte: „Glauben Se nix – probieren Sie selbst!“ Harry brach ebenfalls zu Beginn das Eis mit dem ironischen Wortspiel „Wein ist ein bierernstes Thema“ und ermunterte so alle Gäste zum regen und unbefangenen Austausch über die Weine – was trefflich gelang. Ich saß mit am Tisch bei den Weingutsrepräsentantinnen Tanja Strätz vom Juliusspital und Verena Giraudot von den Domaines Lapalu und hatte so die Chance, mich auch aus erster Hand über den Vegetationsverlauf 2013 in Franken und Bordeaux zu informieren.

Um nicht weiß und rot durcheinander verkosten zu müssen – was für Profis schon anspruchsvoll, für Laien aber geradezu unmöglich ist –, wurden nur im ersten Zweier-Flight die beiden Gebiete einander gegenüber gestellt und danach die Weine geschlossen nach Herkunft aufgeteilt und nacheinander präsentiert: erst die Franken, dann die Franzosen. Positiv und weitsichtig war, dass es sofort mit dem ersten Wein etwas zu essen gab und während der gesamten Probe durchgängig Verpflegung an den Tischen verfügbar war: von „Blauen Zipfeln“ (in Essigsud gegarten Nürnberger Würstchen) über eine Wurstplatte mit Leberwurst, Blutwurst und Sülze sowie Rillettes und Leberpastete bis zu einer Käseauswahl.

Hier die Reihenfolge der degustierten Weine:

2012 Scheurebe halbtrocken, Juliusspital, Franken
Cassis, Zitrus, floral, pflanzlich, erdig, leicht süß, geradlinig – süffig

2012 Château de Fontenille, Entre-deux-Mers
(40% Sauvignon Blanc, 25% Sémillon, 20% Muscadelle, 15% Sauvignon Gris)
Stachelbeere, Himbeere, Zitrus, Cassis, Muskat, floral, herb-pflanzlich, Honig, gelbe Früchte, Kräuter, erdig, Schmelz – markant und unkompliziert

2012 Iphöfer Kronsberg Riesling Erste Lage trocken, Juliusspital, Franken
pflanzlich, Zitrus, Steinobst, erdig-mineralisch, geradlinig, Kräuterwürze, straff, kernig, bodenbetont – ehrlich und elegant

Tanja Strätz erklärte in verständlichen Worten die neue VDP-Klassifikation und urteilte, sie werde dem Verbraucher gerecht, denn dieser könne mit ihrer Hilfe präzise den Typ Wein auswählen, den er wünsche – auf die einfache Formel gebracht: „Wer süß will, trinkt Prädikat.“ Die trockene Spätlese habe ohnehin keine Bedeutung mehr. Und die Erste-Lage-Weine seien „so gut, dass die Lage draufsteht“. Ferner sprach sich Tanja Strätz für eine möglichst natürliche Weinbereitung aus: „Wer‘s nötig hat zu zuckern, soll aufhören, Wein zu machen.“

2012 Iphöfer Kronsberg Silvaner Erste Lage trocken, Juliusspital, Franken
vegetabil, erdig, Kernobst, getrocknet-pflanzlich, Zitrus, ein wenig Holz, mineralisch, Gewürze, gewisse Kraft – erdig-würzig und mustergültig

2012 Würzburger Stein Silvaner Erste Lage trocken, Juliusspital, Franken
salzige Mineralik, vegetabil, Gewürze, Quitte, floral, pflanzlich, Zitrus, erdig, kühl, präzise, geradlinig – charaktervoll und mineralisch

Flaschenetikett 2011 Volkacher Karthäuser Silvaner GG vom Weingut Juliusspital2012 Würzburger Stein Silvaner Großes Gewächs trocken, Juliusspital, Franken
zarte Holzwürze, vegetabil, mineralisch, Kernobst, komplex, erdig, Gewürze, geradlinig, geschliffen, fein, kraftvoll, ein wenig Rauch, klar, nachhaltig – beginnt gerade, sich zu öffnen, und offenbart großes Potenzial

2011 Volkacher Karthäuser Weißburgunder Großes Gewächs trocken, Juliusspital, Franken
feine Holzwürze, Kernobst, nussig, pflanzlich, Zitrus, floral, Schmelz, erdige Mineralik, vegetabil, Kraft, Nachhaltigkeit, Eleganz – starke Persönlichkeit; weiß, was er will

2009 Château Liversan Cru Bourgeois, Haut-Médoc
(60% Cabernet Sauvignon, 30% Merlot, 7% Cabernet Franc, 3% Petit Verdot)
etwas marmeladig, Gewürze, getrocknete Kräuter, Holz, dunkle Beeren, Kräuter, erdige Mineralik, leicht zedrig, etwas Blut, kühl, Wacholder, getrocknete Tomaten – frisch und würzig

2009 Château Patache d‘Aux Cru Bourgeois, Médoc
(50% Merlot, 49% Cabernet Sauvignon, 1% Cabernet Franc)
Leder, Gewürze, angetrocknete dunkle Beeren, Pflaumen, Pfeffer, getrocknete Kräuter, zedrig, kühle Mineralik, gewisse Kraft – herb und kraftvoll

2009 Château Liversan Cuvée Sophie, Haut-Médoc
(50% Cabernet Sauvignon, 50% Merlot)
zedrig, tief, Gewürze, dunkle Beeren, getrocknete Kräuter, dunkle Beeren (Cassis, Brombeere), gegrillte Paprika, Pfeffer, erdig, leicht speckiges Holz, Kraft, Nachhaltigkeit – kühl und feurig zugleich

2008 Château Patache d‘Aux Cuvée Flora, Médoc
(60% Cabernet Sauvignon, 40% Merlot)
Blut (Eisen), getrocknete Kräuter, rote und schwarze Beeren, erdig, mineralisch, Gewürze, sehr klar, Leder, kühle Art, speckiges Holz, integriertes Tannin, viel Schliff, Eleganz – feinwürzig und geschliffen

Flaschenetikett 1999 Château La Couronne Doppelmagnum1999 Château La Couronne Grand Cru, Saint-Émilion
(60% Merlot, 25% Cabernet Franc, 15% Cabernet Sauvignon; Doppelmagnum)
etwas entwickelt, animalisch, angetrocknete dunkle Beeren, Kräuter, erdig, Gewürze, getrocknete Kräuter, zedrig, geradlinig, warmer Stil – generös und zart gereift

Den letzten Wein hatte Harry aus seinem Privatbestand gestiftet, und bei einem Warenwert von rund 850 Euro pro Person waren 50 Euro Gastbeitrag für diesen Abend (einschließlich des mehr als reichhaltigen Imbisses) keineswegs zuviel. Eine solche Auswahl bekommt man nur sehr selten kredenzt, und Harry befand auf Hessisch in einer grandiosen Untertreibung, alle präsentierten Weine seien „Kammer-Weine“: „Kammer tringe!“

Es zeigten sich jedoch auch die Grenzen kulinarischer Weinproben, denn ab etwa sechs Weinen gewinnt die Geselligkeit die Oberhand über das Konzentrationsvermögen (wenn man nicht spuckt, sondern schluckt), und je gelöster und lauter die Gäste werden, desto schwerer fällt es etwelchen Moderatoren, sich mit Erklärungen zu den Weinen durchzusetzen. Den Gästen wird die Veranstaltung indessen gerade durch einen derartigen Verlauf als gelungen in Erinnerung bleiben.

Bemerkenswert fand ich, dass viele Gäste sowohl für die Speisen als auch insbesondere für die Weine nur das einfallslose Pauschalattribut „lecker“ zur Verfügung hatten. Zu diesem Thema gibt es innerhalb der Weinszene seit Jahren eine lebhafte und kontroverse Diskussion – doch die spielte an diesem unbeschwerten Abend für neugierige Weinfreunde naturgemäß keine Rolle; es fiel mir nur auf. Aber kümmert es den durchschnittlichen Weintrinker eigentlich, worüber Journalisten, Blogger und Kritiker sich mitunter ereifern? Schließlich ist „lecker“, wenngleich eine undifferenzierte, so doch eine uneingeschränkt positive Aussage, und die Leute waren dort, um Spaß zu haben und gute Weine zu erleben. Dieser Anspruch wurde zweifellos erfüllt, und Harry konstatierte humorvoll im heimischen Dialekt: „Es gibt nix Schlimmeres, als wenn e gude Drobbe in e bees‘ Maul kimmt!“ Von dieser Gefahr waren wir angesichts der allgemeinen Begeisterung weit entfernt.