Irgendein geselliger Anlass im Sommer steht bevor, die Menschen freuen sich darauf und tun ihre Wünsche kund: „Ich will Radler!“ – „Ich will Bier!“ – „Ich will Wein… Aber ich weiß nicht, was für einen, ich kenn’ mich ja gar nicht aus. Kannst du mir was empfehlen?“
Diese Szene habe ich so tatsächlich erlebt (und war der mit der Frage Angesprochene). Sie bringt eine Besonderheit des Produkts Wein anschaulich auf den Punkt., die dieses – um den Begriff „problematisch“ zu vermeiden – weniger einfach handhabbar macht als andere Getränke. Denn Wein ist Vielfalt!
Für mich ist dieser Umstand etwas ausgesprochen Positives – mit das Reizvollste am Produkt Wein überhaupt. Doch Vielfalt bedeutet unweigerlich Erklärungsbedarf, und ohne mindestens eine grundlegende Entscheidung bzw. Präzisierung lässt sich überhaupt kein Wein bestellen. Ein Radler ist ein eindeutig definiertes Getränk (Mischung aus Bier und Limonade). Auch von einem Bier besteht eine klare allgemeine Vorstellung, und auch wenn es hier ebenfalls zahlreiche Varianten gibt, kann man jederzeit irgendwo „ein Bier“ bestellen und wird es erhalten, ohne dass man erklären muss, ob es nun konkret ein Pils, ein Alt, ein Weizen oder irgendetwas anderes sein soll. Selbst einen Sekt kann man so bestellen und wird ihn ohne Rückfrage serviert bekommen. Aber einen Wein nicht.
Unsicherheit und ihre Ursachen
Die erste und unerlässliche Grundfrage bei der Weinbestellung ist die nach der Farbe: weiß oder rot? Diese Frage kann auch jeder beantworten, denn ob man einen Weiß-, einen Rot- oder einen Roséwein möchte, weiß man, auch wenn man sonst überhaupt keine Weinaffinität hat. Alle weiteren Fragen laufen aber bereits Gefahr, Weinlaien zu überfordern. Denn sie können zwar intuitiv beurteilen, ob ihnen etwas schmeckt oder nicht, wenn sie es probieren. Aber sie können selten begründen, warum, und ihre Wahrnehmungen kaum in Worte fassen – erst recht nicht abstrakt, also ohne dass bzw. bevor sie das, was sie beschreiben sollen, überhaupt gekostet haben. (Wie man trotzdem mit nur drei zielführenden Fragen bestimmte Präferenzen bei Weinkonsumenten herausfinden kann, habe ich in meinem Blogbeitrag „Farbe – Zucker – Säure“ ausgeführt.)
Was folgt daraus? „Alle blöd, oder was?“ So überschreibt Dirk Würtz provokant seinen Blogbeitrag vom 11. Mai dieses Jahres. Darin berichtet er von seinen Erlebnissen auf Wein-Publikumsmessen und resümiert: „‚Sie bekommen heute bestimmt ganz viele blöde Fragen gestellt‘, war einer der Sätze, die ich am häufigsten gehört habe. Der ‚Normalo‘ hat Angst. Immer noch. Und das im Jahr 2018. Dabei waren die Fragen gar nicht so viel anders als bei sogenannten Fachveranstaltungen… Der Konsument ist gar nicht so blöd, wie manche einen immer versuchen glauben zu machen. Er ist schlicht nur verunsichert.“
Angst? Vor Wein? Nein, nicht vor dem Getränk selbst. Aber vor zweien seiner „Begleitumstände“:
- Zum einen – jawohl – vor der Vielfalt: Geschmacksrichtungen, Rebsorten, Herkünfte, Bezeichnungen, Ausbauarten… All das ist für Nicht-Weintrinker verwirrend und unüberschaubar, für einige vielleicht sogar undurchschaubar. Sie sind mit der Sache überfordert bzw. fürchten, dass sie überfordert sein werden.
- Zum anderen vor einer negativen Reaktion von Gesprächspartnern, die mit Wein besser vertraut sind. Wir Weinversierten und Weinexperten stehen offenbar nach wie vor in dem Ruf, arrogant zu sein, uns in unserer kleinen Fachwelt abzukapseln, uns in unserem „Herrschaftswissen“ zu sonnen und andere, die unsere Leidenschaft nicht teilen und weniger Erfahrung mit Wein haben als wir, niederzumachen. Ein Vorurteil – aber eines, das auch irgendwo seine Wurzeln haben muss. Und wenn man sich manche Weindiskussionen in den sozialen Medien anschaut, kann man dieses Vorurteil angesichts der dort vielfach herrschenden Besserwisserei, Rechthaberei, Polemik und Diffamierung durchaus bestätigt finden. Daher besteht bei vielen Menschen – leider! – eine gewisse Furcht, sich gegenüber Weinkennern als „unwissend“ zu outen. (Interessanterweise ist das aber wohl nur beim von bestimmten Branchenakteuren verklärten, mystifizierten Thema Wein so. Für dieses Thema wird augenscheinlich bzw. in bestimmten Kreisen eine Expertise verlangt, um mitreden zu können – und dabei geht es doch um ein Genussmittel, mit dem wir täglich zu tun haben oder zumindest zu tun haben können. Niemand käme auf die Idee, einerseits in einer Biertrinkerrunde jemanden wegen „fehlenden Fachwissens“ von der Unterhaltung auszuschließen oder andererseits den Kontakt mit einem Musiker, Sportler, Metzger oder Bäcker zu scheuen, weil man von dessen Metier zu wenig weiß und befürchten müsste, von ihm nicht ernst genommen zu werden.)
Die Hemmschwelle ist also weiterhin sehr hoch, wenn es darum geht, sich an das Thema Wein heranzuwagen. Noch immer schrecken elitäres Gequatsche und unreflektierte Fachsimpelei sowie überhebliches, affektiertes Gehabe Menschen davon ab, sich an Wein „heranzutrauen“. Diese Erscheinungen und Verhaltensweisen gibt es, wie gesagt, noch immer in erheblichem Maße in der Weinbranche, und wer meine eigenen hier und anderswo veröffentlichten Weinbeschreibungen und Verkostungsnotizen liest, ohne sich mit dem Thema beschäftigt zu haben, wird entweder mich ebenfalls für abgehoben und abgedreht oder zumindest die Materie für hochgradig diffizil halten. Beides keine guten Voraussetzungen, um jemanden neugierig auf Wein, Genuss und Sinnlichkeit zu machen.
Sensorische Defizite
Viele Menschen tun sich generell schwer mit differenzierten sensorischen Eindrücken. Eine maßgebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Harmonie, wie Dr. Eckhard Supp in Ausgabe 3/2018 des Magazins „enos“ (S. 57) darlegt: „Weinqualität lebt von der Ausgewogenheit der Geschmackskomponenten. Sticht eine hervor, zeigt der Wein etwa zu viel Säure, zu viel Zucker, zu viel Tannin, dann fühlt sich das für die Geschmackspapillen auf unserer Zunge unharmonisch, ja sogar unangenehm an. Wichtig dabei: Säure, Zucker, Alkohol, Tannine und alle anderen, geschmacksbildenden Inhaltsstoffe des Weins beeinflussen sich am Gaumen gegenseitig. […] Nun gibt es allerdings Gleichgewicht und Gleichgewicht. Ein dünner Wein ohne nennenswerte Säure, Zucker, Tannine oder Alkohol mag vielleicht unsere empfindlichen Gaumen nicht stören, harmonisch wirken. Aber diese Harmonie glänzt nicht durch das Gleichgewicht verschiedener Geschmackskomponenten, sondern durch deren Abwesenheit. Guter Wein dagegen ist immer eines: geschmacksintensiv. Auch Wasser schmeckt ja harmonisch, genauso wie das Brot aus der Industriebäckerei oder das Fleisch aus Massentierhaltung. Aber das ist häufig eine Harmonie am untersten Ende der Wahrnehmungsfähigkeit unserer Geschmacksnerven, eine Art ‚Low-End‘-Balance, die allerdings so mancher Konsument für etwas Positives hält. Getränke oder Lebensmittel, die mehr bieten, werden von ihm nicht selten als geschmacklich störend empfunden. Da kauft er dann lieber den Billigwein aus dem Discounter, weil der sich gut trinken lässt und die Geschmacksnerven nicht ‚belästigt‘. Wenn er dann noch wenig kostet, ist die Welt für unseren Discounter-Shopper vollends in Ordnung.“
Die Hintergründe des Phänomens, dass viele Konsumenten ihre sinnlichen Wahrnehmungen schwer in Worte fassen können, erörtern die Dres. Martin Kern und Simone Müller in ihrem Beitrag „Sensorische Konsumentenforschung für modernes Weinmarketing“ (veröffentlicht in dem von Prof. Dr. Ruth Fleuchaus und René Arnold herausgegebenen Buch „Weinmarketing – Kundenwünsche erforschen, Zielgruppen identifizieren, innovative Produkte entwickeln“, erschienen 2011 im Gabler-Verlag; Zitate S. 81 f.): Sinn, Zweck und Gegenstand einer Weinbeschreibung ist es, einen Wein anhand seiner sensorischen Eigenschaften und deren Intensität möglichst objektiv zu charakterisieren – also zu vermitteln, „welches sensorische Profil ein Wein hat. Diese Aufgabenstellung entspricht nicht dem natürlichen Prozess der Sinneswahrnehmung des Menschen. Dazu bedarf es einer Personengruppe, welche in der Lage ist, Produkte in ihren sensorisch wahrnehmbaren Eigenschaften objektiv zu beschreiben und deren Intensitäten zu messen. Diese Gruppe wird als ‚deskriptives‘ oder beschreibendes Panel bezeichnet […].“ Insofern „differenziert die Sensorik zwei Arten von Konsumenten: Den ungeschulten bzw. naiven Konsumenten, welcher Produkte hedonisch und subjektiv danach beurteilt, welche Beliebtheit sie bei ihm generieren […]. Dem gegenüber steht der geschulte Konsument (Panelist), welcher Produkte sensorisch objektiv mit seinem sinnlichen Wahrnehmungssystem beschreibt. Er ist sensorisch sensibel und wurde in der Fähigkeit trainiert, Intensitäten sensorischer Wahrnehmungen zu messen und seine Sinneswahrnehmung von emotionalen Empfindungen zu trennen und zu beschreiben.“ Dafür „ist eine sprachliche Kreativität erforderlich, um die festgestellten Sinneseindrücke in Worten zu beschreiben und zu definieren“. Die Beschreibungssprache muss dabei einheitlich sein, so „dass hinsichtlich der Produkteigenschaft Klarheit darüber vorliegen muss, was mit einem Begriff genau gemeint ist“.
Mit der Diskrepanz der Sprache zwischen Weinprofis und Weinlaien und der daraus resultierenden Asymmetrie in der Kommunikation befasst sich auch Prof. Dr. Robert Göbel in seinem Buch „Wein & Sortiment – Praxis der Produkt- und Sortimentsgestaltung“ (erschienen 2013 im Kornmayer-Verlag; Zitat S. 35), denn die Sprache von Weinspezialisten unterscheidet sich mitunter erheblich von der der Konsumenten. Wer sich über Jahre und Jahrzehnte intensiv mit Wein beschäftigt, eignet sich „ein immenses fach- und branchenspezifisches Wissen an. Auf der einen Seite ist dies die Grundlage für Kommunikation und Erfahrungsaustausch auf fachlich hohem Niveau. Auf der anderen Seite resultiert daraus das Problem, dass man die Sprache des durchschnittlichen Weinkunden sowie des unerfahrenen Einsteigers verlernt. Für den Spezialisten wird die Perspektive des Laien zunehmend schwieriger nachvollziehbar.“
Einstieg in die Weinwelt
Wie führt man Menschen also an das Thema Wein heran? Was macht sie neugierig, was weckt ihr Interesse?
Caro Maurer MW spricht in der diesjährigen Juli-Ausgabe des Magazins „Der Feinschmecker“ (S. 89) einen Aspekt dazu an: „Die Verpackung unangepasst, schrill, anders, die Weine in der Flasche dagegen gefällig gemacht – das ist ein Konzept, das vor allem bei einer jungen Kundschaft ankommt.“ Eine auffällige Flaschenausstattung, die Aufmerksamkeit generiert, und „gefällige“ Weine also, die zwar im von Dr. Eckhard Supp beschriebenen Sinne harmonisch sind, aber leider meist keine eigene Identität und keinen individuellen Charakter haben, die austauschbar und im schlimmsten Falle eher banal sind. Massentauglich, mehrheitsfähig. Für den Einstieg in die Produktwelt Wein sicherlich ein gangbarer Weg – doch wie geht es dann weiter?
Dr. Eckhard Supp geht in der genannten „enos“-Ausgabe (S. 74 f.) auf eine Studie ein, die das Marktforschungsunternehmen Luth Research im Auftrag des US-amerikanischen Weinproduzenten E.&.J. Gallo durchgeführt hat: „Während vor allem große Kellereien und Anbieter von Weinen im Preiseinstiegssegment seit Jahrzehnten behaupten, man müsse Neulinge und vor allem junge Leute erst mit ganz einfachen und billigen Weinen an das Getränk Wein ‚heranführen‘, woraus sich dann – vielleicht automatisch? – eine Entwicklung des Geschmacks und damit die Hinwendung zu qualitativ hochwertigen Weinen ergäbe, halten die Luth-Forscher fest, dass das Interesse an solchen Gewächsen vor allem aus zwei Faktoren entstehe: Aus ‚Aha‘-Erlebnissen oder durch Freunde, bei bzw. von denen die ‚Novizen‘ (unerwartet?) mit großen Weinen konfrontiert wurden. Um es dann zum zweihundertsiebenunddreißigsten Mal zu sagen bzw. zu schreiben: Nicht billige Plörre, sondern nur hochwertiger ‚Stoff‘ macht aus Nichttrinkern Weinfreunde.“
Ich stimme hundertprozentig zu. Das kenne ich aus meinem eigenen Freundeskreis ebenso wie von mir selbst. Wahrscheinlich hatte jeder, der Wein zu seiner Passion erhoben hat, irgendwann ein „Erweckungserlebnis“. Ich kann mich noch an den ersten Wein erinnern, den ich bewusst getrunken habe. Es war auf einer Party zu Oberstufenzeiten: ein restsüßer Mosel-Riesling, 1983 Kinheim Hubertuslay Kabinett – damals schon etwa fünf Jahre alt. Die Tatsache, dass ich das nach rund 30 Jahren noch so genau weiß, spricht für sich. Etwas später, während meiner Ausbildung zum Restaurantfachmann holte mich eines Abends der Oberkellner aus dem Gläseroffice und ging mit mir in einen leeren Veranstaltungsraum neben dem Restaurant. Auf dem Tisch stand – nein, lag in einem Dekantierkorb eine offene Flasche eines ziemlich teuren Bordeaux, die an einem Tisch nicht ausgetrunken worden war. Er schenkte ein Glas ein, reichte es mir und sagte: „Probier das und sag mir, was du riechst und schmeckst.“ Dass mit diesem Erlebnis meine Weinleidenschaft begründet wurde, will ich gar nicht unbedingt behaupten – aber ich habe es im Gedächtnis behalten, und irgendwie prägend war es insofern schon.
Weinempfehlungen im Dialog
Noch einmal zurück zur Aussage von Prof. Dr. Robert Göbel, dass sich die Beschreibungssprache von Weinprofis und Konsumenten eklatant unterscheide. Man könnte meinen, wer – und sei es nur gelegentlich – Wein trinke, wisse mit der Zeit, welcher Typ Wein ihm schmecke, und könne das vielleicht sogar an den Größen Zucker, Säure und Tannin festmachen. Doch immer wieder ist festzustellen, wie wenig sich die durchschnittlichen Konsumenten mit Wein und generell mit der sensorischen Wahrnehmung auskennen. Sie wissen kaum etwas über Wein – seine Herstellung, seine vielfältigen Erscheinungsformen –, und sie können Geruchs- und Geschmackseindrücke, die sie wahrnehmen, in den meisten Fällen nicht einordnen und nicht benennen. Dementsprechend können sie auch nicht zwischen Aromatik und Textur differenzieren – also zwischen dem, was man riecht und schmeckt (Früchte, Gewürze, Süße, Säure, Salzigkeit, Bitterkeit etc) und dem, was man fühlt (Saftigkeit, Schmelz, Adstringenz, Alkohol, Festigkeit, Griff etc.).
Zwei Beobachtungen dazu:
- Erstens kommt es bei Weinproben und in Seminaren auch heute noch vor, dass Teilnehmer, wenn über die Aromen des Weins gesprochen wird, fragen, wann im Laufe des Produktionsprozesses dem Wein denn eigentlich die Äpfel oder die Kräuter zugesetzt werden, von denen die Rede ist. Dass die entsprechenden Aromastoffe aus den Trauben selbst kommen oder während der Gärung entstehen, ist für diese Menschen etwas völlig Neues und Unbegreifliches.
- Zweitens werde ich oft nach Weinempfehlungen gefragt – vor allem, wenn bei einer bestimmten Gelegenheit mehrere zur Auswahl stehen. Die Fragen sind dann: „Was kannst du empfehlen?“ oder „Welcher ist denn gut?“ In diesen Situationen könnte ich meinen persönlichen Favoriten empfehlen und diese Empfehlung gegebenenfalls sogar begründen – doch das interessiert im Regelfall niemanden. Denn so gut wie nie werde ich, nachdem ich jemandem einen Wein empfohlen habe, gefragt, warum ich diese Empfehlung ausspreche oder warum der betreffende Wein gut sei. Die Menschen nehmen meine Empfehlung einfach unreflektiert hin – blindes Vertrauen, das mich ehren könnte, doch dahinter steckt… was eigentlich? Desinteresse? Gleichgültigkeit – die Begründung ist egal, solange der Wein gut schmeckt? Wieder die Angst, mit meiner Erklärung überfordert zu sein, sie nicht zu verstehen?
Wenn ich nach einer Weinempfehlung gefragt werde, frage ich grundsätzlich zurück und versuche, anhand einfacher Kriterien die Präferenzen meines Gegenübers herauszufinden: Welchen Typ Wein sucht oder mag der- oder diejenige? Wenn ich mich für knochentrockene, mineralische Weißweine begeistere, bringt es jemandem, der es gern leicht süßlich und fruchtbetont mag, überhaupt nichts, wenn ich ihm einen Wein empfehle, der mir persönlich gefällt – er wird ihn nicht mögen. Es geht also darum, in verständlichen Worten bestimmte Grundkategorien von Weinen aufzuzeigen (leicht, kräftig, fruchtig, würzig etc.), dabei konkrete Alternativen einander gegenüberzustellen und daraus Vorschläge abzuleiten. Das Vokabular muss sich dabei dem Wissens- und Sprachniveau des oder der Ratsuchenden anpassen. Bereits die Adjektivbildung mit „-betont“ kann da schon zu viel sein; die meisten Menschen bevorzugen die einfache Adjektivbildung auf „-ig“. (Diese ist ja sogar auch in der Wein-Fachsprache üblich und verbreitet, wie ich in meinem Blogbeitrag „Weinkritiken sind Wegweiser“ erörtert habe.) Dabei kommen allerdings manchmal auch seltsam anmutende Kreationen heraus: Neben gängigen Attributen wie „fruchtig“, „blumig“ und „würzig“ (positiv konnotiert) oder „kratzig“ (negativ konnotiert) höre ich nicht selten auch „säurig“ (offenbar eine Abschwächung von „sauer“ und ebenfalls negativ konnotiert). Solche Begriffe verstehen und verwenden die Konsumenten, um Weine zu beschreiben.
Vereinfachte Weinbeschreibung
Letztendlich sind wir damit beim Aromarad. Dieses Instrument dient dazu, die Aromen eines Weins zu systematisieren. Dabei werden Kategorien gebildet und diese dann sukzessiv in einzelne Aromakomponenten zerlegt. Je nachdem, wie komplex ein Wein ist, kann er so entweder grob oder differenziert beschrieben werden. Die im Rad dargestellten Aromen werden von innen nach außen immer feiner, und bei der Kommunikation mit Weinlaien empfiehlt es sich, bei der Weinbeschreibung eher „innen“ zu bleiben, d.h. eher grobe Aromenkategorien zu verwenden und diese mit einfachen, allgemein verständlichen Begriffen zu benennen.
Eine vollständige Weinbeschreibung enthält neben Informationen über den Geruch – also die Aromen – und den Geschmack des Weins – Süße und Säure (nicht Analysewerte, sondern die sensorischen Eindrücke) – auch eine Aussage dazu, wie der Wein sich anfühlt, d.h. zur Textur, zur Stilistik oder zum Charakter. Hier reichen üblicherweise zwei oder drei Angaben wie „frisch“, „saftig“, „cremig“, „weich“, „fest“, „schlank“, „üppig“, „leicht“, „kraftvoll“, „nachhaltig“, „lang“ etc. aus, damit sich jemand ein angemessenes Bild machen kann. Bei Rotweinen ist darüber hinaus die Beschaffenheit des Tannins („kräftig“, „geschmeidig“, „mürbe“ etc.) zu berücksichtigen.
Auf diese Weise wird der Wein zwar vereinfacht, aber dennoch adäquat und professionell beschreiben – unzählige Weinhändler, Sommeliers, Autoren, Dozenten und (Video-)Blogger machen vor, wie das geht.
Sprache der Konsumenten
Über einen Zeitraum von mehreren Monaten habe ich analysiert, mit welchen Vokabeln Kunden im Internet Weine, die sie probiert bzw. getrunken haben, beschreiben und beurteilen. Daraus ergab sich die folgende Liste mit positiven und negativen Attributen, die fachsprachlich – in der Weinkritik – in manchen Fällen grenzwertig oder ausgeschlossen, in jedem Fall aber konsumentengerecht und damit unmittelbar marketingrelevant sind: Das verstehen die weinunerfahrenen Kunden im Handel und Gäste im Restaurant!
positiv | negativ |
lecker | Säure |
toll | Alkohol |
schön | schwer |
fruchtig | dick |
frisch | aufdringlich |
harmonisch | süß |
ausgewogen | glatt |
rund | dünn |
elegant | flach |
fein | unreif |
intensiv | grün |
kräftig / kraftvoll | dumpf |
vollmundig | holzig |
gehaltvoll | metallisch |
Druck | |
weich | |
samtig | |
beerig |
Gleichzeitig spiegelt diese Aufstellung die Eigenschaften wider, die ein Wein haben bzw. nicht haben sollte, um massentauglich zu sein, also dem sogenannten Mainstream zu entsprechen.
Erlebnis als Schlüssel
Ich wiederhole die oben aufgeworfenen Fragen noch einmal: Wie führt man Menschen an das Thema Wein heran? Wie macht man sie neugierig, weckt ihr Interesse und kann sie vielleicht sogar begeistern?
Die Antwort ist: Indem man eine möglichst angenehme Erlebnisatmosphäre schafft. Indem man sich dem Thema unverkrampft und undogmatisch nähert und nicht oberlehrerhaft so viel Spezialwissen wie möglich vermitteln will. Die Menschen sollen den Wein und seine Vielfalt sensorisch selbst erleben statt nur kognitiv lernen – schrittweise und spielerisch, und ihrem eigenen Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen sollen dabei verständliche, nachvollziehbare und richtig dosierte Erklärungen zur Seite stehen. Freude an Erfolgen, Humor und positive Stimmung sowie – das ist wichtig – gute Produktqualität schaffen Aufgeschlossenheit und regen dazu an, sich auf die Welt der Weine einzulassen und sich näher mit ihr zu beschäftigen.
So können wir Weinprofis den Konsumenten mehr Sicherheit und (sensorisches) Selbstvertrauen geben – damit sie nicht immer jemanden um Rat fragen müssen, wenn sie einfach nur ein Glas Wein trinken möchten.