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Auf die Frage, wie der Weinjahrgang 2010 in Deutschland sei, kann es nur eine Gegenfrage als Antwort geben: „Wo?“ Oder noch präziser: „Von wem?“ Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Anbaugebieten; bereits der Witterungsverlauf über das Jahr war teilweise sehr unterschiedlich. Auch innerhalb der Regionen ist die Weinqualität stark ausdifferenziert, wie Martin Schmitt vom Weingut Schmitt's Kinder bestätigt.

Gemein ist allen Regionen, dass die Erntemenge deutlich geringer war als üblich. Doch Klagen der Winzer waren nicht zu hören auf der VDP-Weinbörse, bei der die Prädikatsweingüter am 17. und 18. April in Mainz den neuen Jahrgang präsentierten. „Wir sind ja auch an der Spitze, wo gearbeitet wird“, bemerkte Schmitt mit Blick auf den Verband, in dem die besten deutschen Weingüter vereinigt sind. Nicht, dass alle anderen nicht arbeiten würden, aber 2010 kam es in besonderer Weise auf den Sachverstand, die Erfahrung und das Können des Winzers an. „Der Jahrgang zeigt, wer sein Handwerk beherrscht und nicht nur dann guten Wein macht, wenn ihm die Natur ihn gewissermaßen schenkt“, erklärte Mark Barth vom Wein- und Sektgut Barth.

2010 ist besser als sein Ruf

Ein erstes Fazit der Weinbörse ist, dass die allermeisten Weine nicht so säurebetont sind, wie es zu erwarten, ja, zu befürchten stand. Viele Winzer haben – auch bei Rieslingen – einen biologischen Säureabbau (BSA) durchgeführt, bei dem die spitze Äpfelsäure in mildere Milchsäure umgewandelt wird. Weinpublizist Albert de Jong aus den Niederlanden – erklärter Restsüße-Freund – sprach noch ein anderes Problem an: „Deutsche Rieslinge sind Weine für intelligente Menschen. Aber sie werden leider nicht intelligent vermarktet.“ Ob sich das eher auf nationale Dachorganisationen oder die einzelnen Winzern bezieht, ließ de Jong offen.

Zum ersten Teil der Aussage darf ich anmerken, dass ich bei einer ganzen Reihe von Weingütern äußerst gelungene 2010er Rieslinge fand, etwa bei Graf von Kanitz, von Winning, Domdechant Werner, Leitz, Schloss Neuweier und Laible. Laible hat auch exzellente Gewächse aus der Burgunderfamilie vinifiziert, ebenso wie Stadt Lahr, Bercher und Salwey. Über den zweiten Teil von de Jongs Aussage, die Vermarktungsproblematik, diskutierte ich auch mit Astrid Bodenmüller von Grapevine for Wines und Alf Ewald vom Weingut Georg Müller Stiftung. Das Image des Weinguts basiert Ewald zufolge auf den Rotweinen. Daher würden einige der Roten regelrecht zugeteilt, und man habe die Preise erhöhen können. Der Absatz der Weißen laufe dagegen eher schleppend, was auch für den Riesling Erstes Gewächs gelte. Bodenmüller nannte Portugal und Österreich als Beispiele für Länder, die mit großem Budget und hohem Aufwand ein extensives Marketing betreiben. Als Weinhändlerin mit Übersee-Schwerpunkt bekräftigte sie die Wichtigkeit der Vermarktungsstrategie, um sich im In- und Ausland erfolgreich zu positionieren. Deutschland hat mit dem Deutschen Weininstitut (DWI) und dem VDP auch zwei starke Marketingorganisationen, und das Engagement des DWI wird laut Andreas Kaul aus der Abteilung Kommunikation weiter vorangetrieben.

Spezielle Gegebenheiten bei Jungweinproben

Ein Defizit der Weinbörse – ebenso wie auch der ProWein und aller anderen Weinmessen im Frühjahr – ist die Tatsache, dass die meisten präsentierten Weine noch zu jung sind, um ein endgültiges Urteil über die Qualität des neuen Jahrgangs abzugeben. Sehr viele Winzer hatten von ihren 2010ern Fassproben dabei, die vielfach noch sehr unruhig und teilweise wenig aussagekräftig waren. Dasselbe gilt für zahlreiche Weine, die erst vor wenigen Tagen abgefüllt worden waren. Doch einige Winzer konnten schon jetzt völlig überzeugende, eigenständige Kollektionen vorstellen, darunter Geltz-Zilliken, Kühn, Groebe und Kühling-Gillot (besonders die Qvinterra-Linie). Friedrich Groebe kommentierte lapidar: „Ich mache keine Kopien, ich mache nur Originale.“ Die Probe bei van Volxem bedeutete nur eine Momentaufnahme ausschließlich von unfiltrierten Fassproben. In diesen Jungweinen war die permanente Veränderung noch spürbar. Roman Niewodniczanski, der „Magier von der Saar“, wie ihn Bernd Klingenbrunn von K&M Gutsweine (und zuvor schon der Wein- und Feinkosthändler Pinard de Picard) nannte, macht schon immer ganz außergewöhnliche Weine und hat es wohl auch 2010 wieder geschafft.

Den Weinen Zeit zu lassen ist auch das Credo von Theo Minges. Er plädiert für Geduld in allen Phasen: im Wachstum, in der Verarbeitung und in der Reife. Dazu gehört für Minges auch ein langes Hefelager (etwa bei seinem 2009er Muschelkalk Grauburgunder Spätlese trocken) oder für seinen 2009er Spätburgunder die Kaltmazeration. Diese trockene Spätlese hat mich ebenso überzeugt wie zwei andere kalt mazerierte Rotweine, nämlich der 2009er Daniel Spätburgunder trocken von Georg Müller Stiftung und der 2005er (!) Cabernet Sauvignon von Barth, beide wohlgemerkt aus dem Rheingau. Darüber hinaus gab es interessante Entdeckungen aus weniger verbreiteten Rebsorten oder bemerkenswerten Kombinationen: 2010 Muskateller & Riesling Kabinett trocken von Minges, 2010 Gemischter Satz Gewürztraminer & Riesling trocken von Kühling-Gillot, 2010 Badisch Rotgold von Reichsgraf zu Hoensbroech, 2010 Sauvignon Blanc trocken von Schlumberger oder 2009 Traminer Sekt trocken von Schloss Proschwitz.

In guten wie in schlechten Jahren

Selbstverständlich sind sich die Winzer der begrenzten Aussagekraft von Fassproben bewusst und weisen darauf hin. Um das Potenzial ihrer Weine zu veranschaulichen, bringen viele daher noch den einen oder anderen gereiften Jahrgang mit. Von Weinen oder Sekten mit langer Ausbau- und Reifezeit sind ohnehin jetzt erst die Jahrgänge 2008 und älter im Handel. Drei wesentliche Erkenntnisse habe ich von der Mainzer Weinbörse 2011 mitgenommen:

  1. Der Jahrgang ist 2010 besser, als ihm mitunter in der Presse voreilig und ungerechtfertigt attestiert wurde. Er ist in der Qualität differenzierter, in der Menge geringer und wird daher wahrscheinlich im Preis teurer.
     
  2. Der Jahrgang 2009 ist nicht überall so exorbitant gut, wie er von Verbänden und Medien gefeiert wurde. Einige dieser vermeintlichen Weltklasse-Weine zeigen schon jetzt Alterungsnoten, die nicht auftreten dürften.
     
  3. Der Jahrgang 2007 wird in einigen Fällen jetzt gerade interessant. Zwei ganz bemerkenswerte Weine dieses Jahrgangs – beide aktuell auf dem Markt – habe ich verkostet: zum einen den 2007er Primus Riesling brut von Barth sowie zum anderen den 2007er Oberer Berg Lemberger Großes Gewächs von Graf Adelmann. Von beiden war ich sehr beeindruckt und – jawohl: begeistert.

Diese Erkenntnisse führen zur folgenden Schlussfolgerung (die indessen auch nicht neu ist): Es kommt in jedem Fall auf die Sorgfalt und das Geschick des Winzers an – egal, ob der Jahrgang als „groß“ (und damit einfach zu vinifizieren) oder als „schwach“ (und damit als schwierig zu vinifizieren) gilt.

Naturnah und nachhaltig

Wie wichtig das Wirken des Winzers ist, erläuterte Mark Barth. Er sprach sich für prophylaktisches Arbeiten statt reaktive Maßnahmen aus und verglich den Organismus Weinberg mit dem menschlichen Körper. Beide müssten von vornherein gesund gehalten werden, anstatt sie systematisch zu überanstrengen und dann mit chemischen Mitteln die Leistungsfähigkeit künstlich aufrecht zu erhalten oder zu erhöhen. Sektspezialist Barth nimmt sogar im Weinberg zunehmend Einfluss auf die Grundweinherstellung („Zwei Gärungen benötigen mehr Nährstoffe"). Das geht einher mit der vor zwei Jahren begonnenen Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung. Diese macht sich laut Barth bereits bemerkbar: „Der Weinberg lebt anders.“

Der Nachhaltigkeitsgedanke, den Barth – freilich als einer von begrüßenswert vielen – propagiert, liegt auch dem Verein „Wine Saves Life“ zugrunde. Er wurde 2001 gegründet und unterstützt Kinder in Not „für den Gegenwert einer guten Flasche Wein“ pro Mitglied. Anke Trischler, als Unternehmensberaterin und Hobbywinzerin selbst Vereinsmitglied, berichtete auf der Weinbörse über ein Bildungsprojekt in Kenia, denn nach Nahrung und Gesundheit sei Bildung eine der wichtigsten (Über-)Lebensvoraussetzungen für die Kinder. „Wine Saves Life“ koordiniert auch die Spendenaktion der deutschen Weinwirtschaft für Japan. Ich kann nur sagen: mitmachen!