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Freitagabend. Ein Kreis von vinophilen Menschen – teilweise verkaufen sie Wein, teilweise schreiben sie über Wein, alle trinken sie gerne Wein – trifft sich in einer Wohnung im 9. Wiener Bezirk, um ein paar Entdeckungen zu machen, sich auszutauschen und es sich gut gehen zu lassen.

Auf dem großen Küchentisch stehen etliche Sorten Käse von Kuh, Ziege und Schaf, italienische Salami vom Esel und vom Schwein, ein immer voller Brotkorb, später werden Foie gras mit Sauternes sowie Schokotrüffel gereicht. Es ist einer dieser Abende, wo jeder etwas mitbringt, und das gilt auch für die Weine. Allein der Gastgeber weiß, welche Tropfen kredenzt werden, der Rest der Gruppe probiert (außer dem jeweils eigenen Mitbringsel) vollkommen blind und gibt sich einen spannenden Ratespiel hin.

Den Auftakt macht ein gekühlter Rotwein. Von der Farbe wird auf Spätburgunder geschlossen, seinem Duft nach wird der Wein nach Südtirol verortet, als Rebsorte Vernatsch vermutet. An dieser Interpretation wird auch festgehalten, als sich die Herkunft als falsch erweist, und
man tippt auf Trollinger, das Württemberger Pendant zum Vernatsch. Das Anbaugebiet stimmt nun zwar, doch die Rebsorte immer noch nicht. Und der Wein stellt sich als älter heraus als gedacht.

2008 Asperger Berg „Esele“ Lemberger Kabinett trocken, Eugen Hilbert
Sauerkirsche und gemischte Beeren, gewürzige Noten, präsente Säure, unkomplizierte Art

Als nächstes ein Weißwein. Schnell ist die Runde sich einig, dass er aus Norditalien stammt, ein Teilnehmer grenzt die Herkunft auf Friaul ein und nennt auch die richtige Rebsorte. Auch dieser Wein wirkt jünger, als er tatsächlich ist.

2005 Collio DOC Tocai Friulano, Edi Keber
an Feuerstein erinnernde Mineralik, etwas hefig und nussig, gelbe Früchte, wirkt leicht harzig, deutlich Mandeln, hat Kraft und Nachhaltigkeit, fein, zunehmend straff

Der nächste Wein ist – so viel ist auch vorab bekannt – ein Champagner, und da hier die genauere Eingrenzung der Herkunft äußerst anspruchsvoll ist, wird die Identität schnell gelüftet: Es handelt sich um einen Verschnitt der Jahrgänge 1990, 1995 und 1996 aus Parzellen im Vallée de la Marne.

Champagne Blanc de Blancs Grand Cru „Les Aventures“ Brut, AR Lenoble
nussig, getrocknetes Steinobst, Brioche, florale Noten, dunkle Beeren, Kakaobutter, sehr fein, Zitrusfrüchte, Kräuter, präsente Säure, mineralisch, eher weich, verblasst im Abgang recht schnell und zeigt bald oxidative Tendenzen

Der folgende Weißwein wird sofort als Naturwein identifiziert. Ein erster Tipp zur Herkunft geht in Richtung Jura, doch das ist ebenso falsch wie die zweite Vermutung Norditalien. Aufgedeckt wird nämlich ein Österreicher aus dem Kremstal.

2010 Grüner Veltliner „Minimal“, Sepp Moser
leicht oxidativ und hefig, floral, etwas harzig, kandierter Sellerie, getrocknete Kräuter, mineralisch und kompakt, kandierte und getrocknete Orangen, erinnert ein wenig an Whisky oder Armagnac, Kakao, Dörrpflaumen, wird mit Luft immer feiner und griffiger, viel Schmelz, kandierte Nüsse und Marzipan, fast buttrig, Bratapfel, bleibt lange im Mund

Beim nächsten Rotwein wird lebhaft diskutiert. Von Spanien (Toro) über Italien bis nach Südfrankreich reichen die Ideen, und alle sind skeptish, dass dieser Wein reinsortig ist. Ist er aber und kommt aus dem Roussillon.

2006 Carignan „Hypothèse“, Riberach
angetrocknete gemischte Beeren, Gewürze, Kuchenteig und rohe Eier, mineralisch, ein wenig Gummi und Schweiß, feiner Säurebiss, körniges Tannin, kühl, Anklänge an Minze, Eukalyptus und Cassis, zedrig, Teeblätter, rote Johannisbeeren, animalische Noten, Mineralik, viel Potenzial; ein Athlet

Auch der folgende Rotwein löst Diskussionen aus. Die Herkunft Italien ist nach dem Ausschluss von Frankreich schnell klar, doch das Gebiet und die Rebsorte scheinen schwieriger: Ätna, Sardinien, Toskana, wird gerätselt, und die Idee Brunello hält sich bis zum Schluss. Doch der Wein kommt tatsächlich aus Sizilien, und er besteht aus mehreren autochthonen Traubensorten.

2007 Faro DOC, Palari
etwas entwickelt, Gewürze und Heilkräuter, dunkle Beeren, erdige Mineralik, Tabak, Leder, Teer, Veilchen, Waldboden, Pflaumen, feine, präsente Säure, Lakritz, straff, kühl, hat Kraft, Zug und Griff, mürbes Tannin, Brombeeren, sehr guter Abgang

Der letzte Wein des Abends, ein Süßwein, wird offen ausgeschenkt – und den an ihn gestellten hohen Erwartungen leider nicht ganz gerecht.

2008 Tokaji Szamorodni, Szepsy
getrocknete Kräuter, kandierte Orangen und Kernobst, Honig, erdige und gewürzige Noten, feine Säure, sehr brav

Am Ende stehen viele neue Erkenntnisse, gute Gespräche, nahezu komplett abgegraste Käse- und Wurstteller – und zwei Gläser 1994er Bowmore Whisky, in Fassstärke abgefüllt von Berry Brothers & Rudd, die dem Gastgeber und dem Chronisten einen buchstäblich atemberaubenden Abschluss bescheren.