Ja, richtig gelesen: Hier geht es nicht um roten Schaumwein (also Sekt aus roten Trauben), sondern um Rotwein, der aufgeschäumt wurde, dem also nicht Kohlendioxid, sondern Luft zugeführt wurde – im Küchenmixer! Gewissermaßen ist dieser Blogbeitrag die Fortsetzung von „Pimp my Plörre?“.
Video 1: Cordula Eich
Mein letzter VinoBlog-Beitrag erhielt auf Facebook eine ganze Reihe von Kommentaren. Darunter war auch ein Link zu einem weiteren Video von Cordula Eich aus der Stern-Reihe „Life Hacks“ mit dem Titel „So atmet Ihr Wein binnen Sekunden“. Der provokanten Überschrift „Darum gehört Rotwein in den Mixer“ folgt wiederum ein kurzer Einführungstext: „Sie möchten ein Glas Wein trinken, haben aber keine Zeit, ihn stundenlang ‚atmen‘ zu lassen? Wir zeigen Ihnen, wie Sie langwieriges Dekantieren umgehen können.“
In dem einminütigen Film entwirft Cordula Eich zunächst das Szenario: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Kamin, und das Einzige, was Ihnen zu Ihrem Glück noch fehlt, ist ein leckeres Glas Rotwein. Der Wein, den Sie trinken wollen, der müsste aber eigentlich noch ein paar Stunden in den Dekanter. Sie möchten aber jetzt Ihren Wein.“ Daher führt sie im Folgenden vor, „wie Sie schneller zu Ihrem Genuss kommen“, nämlich: „Wir gönnen unserem verschlossenen Bordeaux eine kleine Sauerstoffbehandlung.“ Diese besteht darin, dass Frau Eich den Inhalt einer Flasche Rotwein in einen Haushaltsmixer füllt und diesen dann anschaltet. Die im Film dokumentierte Zeit, die der Mixer läuft, beträgt acht Sekunden. Danach meldet sich Frau Eich wieder zu Wort: „So wird unser Standmixer zur Zeitmaschine, und die Aromen im Wein entfalten sich im Nu.“ (Die Metapher mit der Zeitmaschine erkenne ich neidlos als genial an.) Im Mixbehälter sieht man währenddessen viel hellroten Schaum. Auch, als Frau Eich dann ein Glas von dem durchgequirlten Rotwein einschenkt, hat dieser am Glasrand noch eine Schaumkrone. Sie prostet dem Zuschauer lächelnd zu und nimmt einen Schluck.
Sekundant: Felix Bodmann
Ich fand die Vorstellung, einen Wein auf diese brachiale Weise zu belüften, ziemlich grotesk und abstoßend, doch in einem weiteren Facebook-Kommentar bekannte sich Felix Bodmann, Weinblogger und Produzent der Webweinschule, ebenfalls zu dieser Methode: „Das mit dem Mixer funktioniert [...] hervorragend. Da empfinde ich kategorische Ablehnung ohne eigenes Ausprobieren tatsächlich als Attitüde. Nicht, dass ich jetzt ständig Wein in den Mixer schütte, wenn ich auch Zeit hätte, zu dekantieren, aber gerade wenn die Zeit fehlt, ist das eine geeignete Ersatzhandlung.“ Er schränkte jedoch ein: „Ich habe es auch wenn, dann mit dem Zauberstab gemacht (weil da kein Plastik im Spiel ist). Außerdem dann nur mit einem Drittel oder der Hälfte der Flasche, der Rest ging in die Karaffe.“
Video 2: Captain Cork
Zur Untermauerung seiner These postete Bodmann einen Link zu einem Beitrag auf der Internetseite von Captain Cork, der am 25. Februar 2014 erschien. Dort präsentiert Manfred Klimek unter der (von mir als zutreffend kritisch empfundenen) Überschrift „Dekantieren brutal: Mix es fix!!!“ wiederum ein Video, das zwei Mitarbeiter von Captain Cork „über ein absurdes Experiment, von dem sie im Magazin Spiegel in dieser Woche gelesen haben“, gedreht haben: „Dort behauptet ein Physiker mit unaussprechlichem Namen, dass man jungen und tanninreichen Rotwein schneller dekantieren kann, wenn man ihn in einem Haushaltsmixer kräftig durchschüttelt. Mit ein paar hundert Umdrehungen, wie einen Shake sozusagen“, schreibt Klimek.
Das Video selbst trägt den Titel „‚Hyper-Dekantieren‘ oder: Wie der Wein im Mixer landet“ und dauert gut fünf Minuten. Der Zuschauer erfährt, dass der betreffende Physiker Nathan Myhrvold heißt und von ihm auch der Begriff „Hyper-Dekantieren“ stammt. Der Wissenschaftler „empfiehlt ausdrücklich, jungen Rotwein im Haushaltsmixer zu dekantieren“, heißt es im Film, und der zugrunde liegende Spiegel-Artikel wird nicht nur gezeigt, sondern auch teilweise vorgelesen. Von dem Wein – einem Blaufränkisch des Jahrgangs 2007 aus dem Burgenland – wird dann zuerst sofort nach dem Öffnen der Flasche ein Glas eingeschenkt, dann wird etwa die Hälfte des verbliebenen Flascheninhalts in den Haushaltsmixer gegeben. Dieser läuft hier mit 16 Sekunden doppelt so lange wie bei Cordula Eich sichtbar. Danach wird ein zweites Glas aus dem Mixer eingeschenkt und der Wein vor und nach der Behandlung gegeneinander probiert. Fazit: Die „hyper-dekantierte“ Variante findet mit Urteilen wie „vollmundig“ und „deutlich mehr Volumen“ erheblich größeren Anklang als die nicht belüftete Originalversion.
Manfred Klimek fasst das Ergebnis im Text zusammen und ergänzt seine eigenen Erkenntnisse: „In ihrem kleinen Filmchen vollziehen [die beiden Mitarbeiter] das umstrittene Experiment. Und siehe, es funktioniert. Deswegen habe ich das gleiche heute früh nachgemacht. Und siehe, es stimmt wirklich! Der Wein präsentiert sich deutlich weicher und fruchtiger, er ist binnen Sekunden ungeheuer zugänglich. Und ehrlich, ich kann keine Benachteiligung erkennen. Zur Sicherheit habe ich das Experiment danach noch einmal mit einem ganz simplen Rührstab wiederholt. Und auch hier – wenngleich nicht derart ausgeprägt – gelingt das brutale Dekantieren. Der rote Zweigelt aus 2009 [...] ist sofort viel zugänglicher und auch geschmacksintensiver.“
Meine Kritik
Offenbar muss man das Belüften von Wein im Haushaltsmixer doch etwas differenzierter betrachten als das „Pimpen“ mit Früchten oder Würzsaucen. Mehrere Experimente belegen, dass das Aufschließen der Aromen auch mit der Turbomethode funktioniert, ohne das der Wein substanziell Schaden nimmt.
Ich habe es selbst nicht ausprobiert und werde das auch nicht tun. Man mag mich altmodisch nennen, aber für mich kommt das „Hyper-Dekantieren“ einer physikalischen Vergewaltigung des Weins gleich. Weingenuss hat für mich immer mit Ruhe zu tun, und daher möchte ich jedem Wein zur Entfaltung seiner Aromen auch die Zeit geben, die er braucht. Deshalb propagiere ich das Karaffieren und Dekantieren als einzig ästhetisch angemessene Methode, um einem Wein Luft zuzuführen, damit der Sauerstoff die Aromen aufschließt.
Es mag sein, dass in bestimmten Situationen – zumal in professionellen, in denen es also nicht um entspannten privaten Weingenuss geht, sondern darum, dass ein Wein möglichst schnell zeigen soll, was er kann – eine rasche Zuführung von Sauerstoff erforderlich ist. Dafür gibt es dann jedoch neben den bewährten Verfahren über die größere Flüssigkeitsoberfläche in geeigneten Behältnissen auch spezielle Ausgießer (man gebe einfach bei Google „Weinausgießer Belüftung“ ein), die ich dem Einsatz eines Mixers unbedingt vorziehen würde.
Das, was mich am meisten abschreckt, ist wahrscheinlich die Tatsache, dass dem Wein maschinell, also mit künstlichem Kraftaufwand zu Leibe gerückt wird. Wer einen Wein so behandelt, bringt ihm meiner Ansicht nach nicht genug Respekt entgegen.
Man mag gern einwenden, dass allein bei der Weinbereitung ja auch eine Vielzahl chemischer und physikalischer Verfahren zulässig sind (siehe „Internationaler Kodex der önologischen Praxis“ der OIV), doch genau darum trinke ich bevorzugt Weine aus biologischen oder noch lieber biodynamischem Anbau, bei denen solche Verfahren mindestens nur eingeschränkt erlaubt sind. Diese Weine brauchen oft zwar noch mehr Zeit, bis sie sich nach dem Öffnen der Flasche ganz entwickelt haben, doch das Genusserlebnis dann und insbesondere der Umstand, die aromatische Veränderung über Minuten oder sogar mehrere Stunden (oder im Extremfall Tage) selbst mitzuerleben und zu verfolgen, ist für mich das Faszinierendste am Weintrinken überhaupt.
Im Übrigen bin ich etwas verwundert, dass bei Captain Cork Rotweine, die fünf und sieben Jahre alt sind, noch als jung angesehen und daher für das Experiment herangezogen wurden. Ein junger Rotwein ist für mich (generell gesprochen, von Ausnahmen abgesehen) maximal zwei oder drei Jahre alt – im Februar 2014, als das Video von Captain Cork gedreht wurde, wäre das der Jahrgang 2012 oder 2011 gewesen. Aber dem Effekt hat dies ja anscheinend keinen Abbruch getan.