In der Rubrik „Hochgeistiges“ erschien auch in diesem Jahr jeden Monat eine Spirituosen-Kolumne von mir im ef-Magazin. Die gesammelten Kolumnen 2019 habe ich nachfolgend wieder hier im Blog zusammengestellt.
Schottische Wurzeln
Cognac Baron Otard Extra 1795
ef 189 – Januar/Februar 2019
Einem Freund habe ich die Gelegenheit zu verdanken, dass ich diesen besonders exquisiten Cognac probieren konnte – und ebenso einzigartig wie der Weinbrand ist auch die Geschichte seines Hauses.
Im 9. Jahrhundert fand der norwegische Wikinger Ottar Zuflucht in Schottland. Einer seiner Nachfahren, James O’Tard, kam während der „Glorious Revolution“ 1688 ins Exil nach Frankreich und wurde hier in den Adelsstand erhoben. Die Familie ließ sich in der Nähe der Stadt Cognac im französischen Südwesten nieder und widmete sich der Destillation von Wein, wobei sie auf die schottischen Erfahrungen im Whisky-Brennen zurückgreifen konnte. Jean-Baptiste Antoine Otard, Urenkel des ersten Barons, entkam nach der Französischen Revolution knapp dem Tod und floh nach England, kehrte jedoch wenig später zurück und gründete 1795 das heutige Cognac-Haus Otard. 1796 erwarb er in einer Auktion das Château de Cognac, das von den Revolutionären als „Nationalgut“ beschlagnahmt worden war, und machte es zum Firmensitz. Von 1804 bis zu seinem Tod 1824 war er auch Bürgermeister von Cognac.
Das Schloss, in dem das Unternehmen seit nun über 200 Jahren residiert, stammt aus dem 10. Jahrhundert – also wiederum der Zeit der Wikinger – und bietet in seinen Kellern mit einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent und einer konstanten Temperatur von etwa 15 Grad beste Voraussetzungen für die Lagerung von Cognac, der hier in Eichenholzfässern reift. Einige der Brände, die im Otard Extra 1795 vermählt werden, sind über 50 Jahre alt.
Der Cognac duftet extrem fein und komplex nach Trauben, Verjus, Pekannüssen, etwas Heu, Veilchen, Getreide und Dörrpflaumen. Sobald er auf der Zunge ist, sammelt er alle Kräfte zu einem Ausrufezeichen und zerfließt dann in einen Aromenteppich aus Nüssen, Heu, Karamell, Feigen, getrockneten Aprikosen und – jawohl – leicht süßlichem (vielleicht etwas angeröstetem und/oder karamellisiertem) Wurzelgemüse. Er ist nachhaltig, sehr fein und vielschichtig – ein großes Digestif-Erlebnis.
Deklination der Kirsche
Stählemühle Benjaminer Kirsche 2012
ef 190 – März 2019
Einen so reinen und eindringlichen Obstbrand wie diesen hatte ich vorher noch nie im Glas. Was Christoph Keller hier präsentiert, ist das Ergebnis einer einzigartigen Destillierkunstfertigkeit.
Ende 2018 hat er seine Edelobstbrennerei Stählemühle nach 15 Jahren geschlossen – die Destillate sind restlos ausverkauft. Bereits seit dem 19. Jahrhundert besaß die Mitte der 1970er Jahre stillgelegte Wassermühle in der Nähe von Konstanz ein Brennrecht, das der Verleger und Kunsthistoriker mit dem Kauf des Anwesens 2004 übernahm. „Schnell habe ich die Obstbrennerei als Hobby für mich entdeckt und mich obsessiv mit diesem alten Kulturgut – zwischen Alchemie, Botanik und Landwirtschaft – beschäftigt“, berichtet Keller, und bemerkenswert ist tatsächlich seine streng naturwissenschaftliche Herangehensweise. Seine beinahe an Besessenheit grenzende Passion lässt an Stefan Zweigs „Schachnovelle“ denken, und aus dem Hobby wurde „ein Beruf, ein Betrieb […]. Letztlich haben wir ein altes Handwerk mit viel Sorgfalt, Forschung, mühevoller Beschreibung und Erklärung, Innovation und präziser Gestaltung wieder neu belebt und [ihm] zu einer neuen Aufmerksamkeit verholfen.“
Aus über 600 Pflanzen schuf Keller im Laufe der Jahre rund 260 Brände – allein von unterschiedlichen Süßkirschsorten (neben Sauer- und Wildkirschen) gibt es acht Destillate. Die Sorte Benjaminer stammt aus dem Hesselbacher Tal im Schwarzwald, und die Früchte werden sofort nach der Ernte „schon unter dem Baum zu Maische verarbeitet, die dann […] direkt vergoren wird“. Der Brand aus dem Jahr 2012 mit 42 Volumenprozent Alkohol ist extrem reintönig und vielschichtig zugleich, schwer zu beschreiben: Im Duft die integrale Kirsche, von der Blüte über die vollreife Frucht bis zum Kern – gewissermaßen der gesamte Vegetationszyklus in einem Atemzug, ergänzt um Anklänge an Kirschmarzipan und Minze. Im Mund dann Kirsche potenziert und in allen Aggregatzuständen, intensiv, fein, gewaltig, weich und sehr lang mit ewigem Kirsch-Echo.
Weiß, verrückt – und edel
Tariquet Blanche Armagnac
ef 191 – April 2019
Ein klarer Armagnac – also einer, der nicht im Holz ausgebaut wurde… Das kann man schon für verrückt halten. Und dann heißt die Traube, aus der er sortenrein gebrannt wurde, auch noch „Folle Blanche“ – also „weiße Verrückte“ oder „verrückte Weiße“… Das ist erst recht verrückt.
Die Rebsorte trägt ihren Namen, weil sie sehr anfällig für Krankheiten ist und wenig Ertrag bringt – für den Winzer also schwierig im Umgang und einigermaßen unberechenbar ist; verrückt eben. Daher wird sie immer weniger angebaut, ist aber weiterhin eine der klassischen Traubensorten im französischen Südwesten. Ihre Weine sind sehr säurebetont und eignen sich deshalb gut als Grundweine für die Destillation; so entstehen Cognac und Armagnac, die Weinbrände aus der Charente bzw. der Gascogne.
Traditionell reifen sie in Holzfässern und erhalten nicht zuletzt dadurch ihre charakteristische Aromatik und Farbe, doch Château du Tariquet brachte 2004 – also vor 15 Jahren – ein klares, nur im Edelstahltank ausgebautes Eau-de-Vie de Folle Blanche heraus, das seit 2006 Blanche Armagnac heißt. Château du Tariquet liegt in Eauze in der Gascogne und befindet sich seit 1912 im Besitz der Familie Grassa. Das Schloss ist seitdem ihr Familiensitz, und das Unternehmen produziert Weine und Brände (Armagnac) von Trauben, die auf rund 900 Hektar Rebfläche wachsen. Damit zählt Tariquet zu den größten und bekanntesten Erzeugern Südwestfrankreichs.
Der Blanche Armagnac hat 46 Volumenprozent Alkohol und duftet nach Mirabellen, Quitten, Birnen und Äpfeln, untermalt mit floralen und leicht kernig-nussigen Tönen. Im Mund zeigen sich Aromen von gelbem Kernobst (Quitte, Birne) und Apfelschalen sowie pflanzlich-würzige Noten von Kräutern und Heu; der Geschmack ist fein, geradlinig und lang, im Nachhall kristallisieren sich grüne Äpfel heraus.
„Verrückt“ darf man hier insofern wörtlich verstehen: herausgerückt aus dem Üblichen, Erwartbaren. Denn sei er auch unkonventionell – eines ist dieser Weinbrand in jeden Fall: edel!
Zitrusfrisch und wurzelecht
Metté Gingembre
ef 192 – Mai 2019
Es gibt kaum eine Pflanze, die die Brennerei Jean-Paul Metté im elsässischen Ribeauvillé nicht zu einem hochwertigen Destillat verarbeitet – von Beeren und Blüten über Gewürze und Nüsse bis zu Wurzeln und Pilzen. So auch Ingwer. Ingesamt produziert das Familienunternehmen über 115 verschiedene Brände, Geiste und Liköre.
Jean-Paul Metté entdeckte bereits als Heranwachsender in den 1960er Jahren die Destillierkunst, als er einem Nachbarn beim Brennen half. Daraufhin erlernte er das Handwerk und gründete seine eigene Brennerei. Ab Mitte der achtziger Jahre teilte er sein Wissen und seine Erfahrung mit seinem Patensohn Philippe Traber, der den Betrieb 1997 zusammen mit seiner Frau Nathalie übernahm. Mit Sohn Timothée und Neffe Matthieu wird heute auch schon die nächste Generation in die Geheimnisse des Destillierens eingewiesen.
Für den Spiritueux de Gingembre (so die offizielle Bezeichnung des Ingwergeists) werden Ingwerwurzeln aus China in Branntwein eingelegt, um langsam und schonend die Aromen zu extrahieren. Das Ergebnis wird danach einmal gebrannt, um die Aromen zu konzentrieren und zu raffinieren. Anschließend lagert der klare Geist mindestens sechs Jahre in Edelstahltanks, um die Aromen zu harmonisieren und zu stabilisieren. Abgefüllt wird das Destillat mit einem Alkoholgehalt von 45 Volumenprozent.
Was mich bei diesem Ingwergeist so überrascht und begeistert hat, ist nicht nur seine Finesse, sondern seine bemerkenswerte und facettenreiche Zitrusaromatik: Der Duft ist ebenso intensiv wie fein und präsentiert einen oszillierenden Schleier aus Zitronengras, Zitronenmelisse, Zitronenkonfit, Limette und – wirklich erst so spät wahrnehmbar – Ingwer selbst. Im Mund verbindet sich die herbe und pikante Ingwerwürze wiederum mit Noten von Zitronenschalen und Limetten sowie floralen Anklängen; der Geschmack ist fein, lang und stabil mit einer Zitrus-Ingwer-Essenz, die noch minutenlang den Gaumen parfümiert. Beeindruckend – auch wenn man (wie ich) Ingwer nicht so gern mag.
Der Graf und die Birnen
Comte Louis de Lauriston Calvados Domfrontals Réserve
ef 193 – Juni 2019
Diese Geschichte beginnt in einer Nacht des Jahres 1962: In der Gegend um die Stadt Domfront in der Normandie hatte das illegale Brennen von Calvados eine lange Tradition. Die Landschaft mit Hügeln, Wäldern, Hohlwegen und hohen Hecken bot genug Orte für versteckte Machenschaften, und vor allem im Winter, wenn schlechte Witterung die Kontrolleure fern hielt, destillierten viele Familien heimlich ihren Apfelbrand. In jener Nacht jedoch ertappten Zöllner einige Schwarzbrenner auf frischer Tat. Als allerdings zahlreiche Nachbarn den Delinquenten zu Hilfe kamen, sahen sich die Ordnungshüter ernsthaft bedroht. Als Streitschlichter in der eskalierenden Situation rief man den Generalsekretär des regionalen Bauernverbands, Comte Louis de Lauriston.
Der Graf setzte schließlich die Legalisierung der Calvados-Destillation im Gebiet durch und gründete die Kellerei „Les Chais du Verger Normand“, um die Brände der Obstbauern zu vermarkten. Als späterer Vorsitzender des Berufsverbands der Calvados-Produzenten von Domfront war er auch maßgeblich daran beteiligt, dass 1997 die kontrollierte Herkunftsbezeichnung (AOC) „Calvados du Domfrontais“ eingeführt wurde. Der Name „Comte Louis de Lauriston“ wurde als Marke etabliert, nachdem die renommierte normannische Brennerfamilie Drouin in die Kellerei eingestiegen war.
Das Besondere am Calvados aus Domfront ist – bereits seit dem 14. Jahrhundert – der hohe Anteil an Birnen: Er wird sowohl aus Cidre (Apfelwein) als auch aus Poiré (Birnenwein) in einem einzigen Brennvorgang destilliert.
Die Réserve von Comte Louis de Lauriston ist eine Assemblage verschiedener Brände und reifte über drei Jahre in Eichenholzfässern. Der Calvados duftet nach reifen Birnen und gerösteten Mandeln mit rauchigen und floralen Anklängen. Im Mund offenbart er Aromen von Birnenmus, blanchierten Mandeln sowie ein wenig Kräutern und zeigt sich sowohl kernig und kraftvoll als auch fein und seidenweich; der minutenlange Nachhall ist von Birnenblüten geprägt.
Finesse oblige
Delord Bas-Armagnac 25 ans d’âge
ef 194 – Juli 2019
Prosper Delord erblickte 1875 das Licht der Welt und war gerade 18 Jahre alt, als er begann, mit einer Brennanlage im Armagnac-Gebiet – in der Gascogne im Südwesten Frankreichs – von Hof zu Hof zu ziehen, um Weinbrand zu produzieren. Schnell erwarb er sich einen guten Ruf als reisender Destillateur in der Region. 1925 übernahmen seine Söhne Gaston und Georges das Gewerbe und gründeten in Lannepax, der Heimatstadt der Familie, das Armagnac-Haus Delors Frères. Auch während der beiden folgenden Generationen waren und sind es stets Brüder, die das Unternehmen führen: nach Jacques und Pierre, den Söhnen von Gaston, nun Jérôme und Sylvain, die Söhne von Jacques.
Delord verfügt über 42 Hektar Weinberge rund um Lannepax im Herzen des Bas-Armagnac-Gebiets. Hier wachsen die regionstypischen weißen Rebsorten Ugni Blanc (zu über 50 Prozent), Colombard, Folle Blanche und Baco, die getrennt vinifiziert werden. Beim anschließenden Brennen des Weins zu Armagnac ist Delord eines der wenigen Häuser, die zwei Verfahren anwenden: die kontinuierliche Destillation für reifefähige Armagnacs und die doppelte Destillation für junge Armagnacs. Zwei der Brennblasen sind fast 120 Jahre alt. Die Destillation erfolgt im Winter, und zwar sehr langsam und bei relativ geringer Temperatur; dies verleiht den Bränden eine besonders feine und vielschichtige Aromatik. Im Keller liegen mehr als 1.000 Eichenholzfässer für die Reifung bereit, wobei zehn Prozent gascognisches Holz für eine spezielle Würze sorgen.
Der 25 Jahre gereifte Bas-Armagnac von Delord zählt zu den schönsten, die ich bisher jemals verkostet habe: Der Duft ist geprägt von getrockneten Pflaumen und Datteln, Vanille, Kirschlikör, Tabak und Karamell, dazu kommen ätherisch-kräuterige Anklänge sowie mit Luft feine florale Noten. Im Mund ist der Brand weich und fein mit Aromen von Tabak, teilweise getrockneten Pflaumen, getrockneten Aprikosen, gerösteten Mandeln, frischem Vanillemark und Kräutern sowie einem langen, feinen Nachhall.
Natur im Glas
Andrea Vogel ‚Brannt is‘
ef 195 – August/September 2019
Die Manufaktur von Andrea Vogel im fränkischen Fürth ist klein. Sie verarbeitet Äpfel. Daraus macht sie hauptsächlich Wein, den sie in Anlehnung an die französische und englische Bezeichnung und Herstellungstradition „Sider“ nennt – weshalb das Unternehmen „Frankensider“ heißt. Dieser Sider hat einen höheren Alkoholgehalt als in Deutschland bei Apfelwein üblich (mindestens sieben Volumenprozent, gern auch zehn oder mehr) und zeichnet sich zum einen „durch einen weniger säurebetonten Geschmack und durch sein leichtes Perlen“ – so Andrea Vogel – sowie zum anderen durch einen spürbaren Gerbstoffanteil aus. Etwas für Liebhaber also.
Die Äpfel sind aus der Bretagne importierte Sorten (29 an der Zahl), die in einer Plantage mit 1000 „Busch-Bäumchen“ wachsen; darüber hinaus gibt es noch eine winzige Streuobstwiese mit 13 Bäumen. Das gesamte Areal wird konsequent biologisch bewirtschaftet: Eigens angesiedelte Bienen und Hummeln übernehmen die Befruchtung, um Schädlinge kümmern sich Vögel, Marienkäfer, Schwebfliegen und andere Nutztiere und -insekten, die dank zahlreicher Blüten- und Nahrungspflanzen hier beste Lebensbedingungen haben.
Einen Teil des Apfelweins destilliert Andrea Vogel, und so entsteht ‚Brannt is’; der Name dieses „Apfelbranntweins“ – so das Etikett – ist der fränkische Ausruf nach getaner Arbeit. Die jedoch ist mit dem Destillieren keineswegs beendet: Drei Jahre reift der Brand danach noch in Eichenholzfässern.
Im Glas hatte ich den Apfelweinbrand aus Früchten des Jahrgangs 2014 mit 46 Volumenprozent Alkohol: ein sehr ruhiger (d.h. in sich ruhender, ausgewogener, gesetzter) und reintöniger Brand, der nach reifen Äpfeln und Birnen sowie Bratäpfeln, Zimt und Vanille duftet. Im Mund präsentiert er sich gleichermaßen kraftvoll und weich mit Aromen von Bratäpfeln und Quittengelee sowie wiederum Zimt und Vanille. Als Digestif im doppelten Sinne nachhaltig: einerseits wegen der ökologisch angebauten Äpfel und andererseits lange am Gaumen nachhallend.
Gut ein halbes Jahrhundert
Domaine de Cassaigne Armagnac 1966
ef 196 – Oktober 2019
Der Rahmen für dieses edle, gereifte Destillat hätte kaum passender sein können: In der Bar des kulinarisch wie architektonisch höchst empfehlenswerten Boutique-Hotels „Le Monastère de Saint-Mont“ im gleichnamigen Weinort im französischen Südwesten entdeckte ich die Flasche, und dank der großzügigen Einladung unserer Gastgeber durfte ich ein generös eingeschenktes Glas dieses über 50 Jahre alten Weinbrands genießen.
Der Armagnac des Jahrgangs 1966 – damals hieß der französische Präsident noch Charles de Gaulle – stammt aus dem Hause Cassaigne, das ebenso wie das Hotel im ehemaligen Kloster von Saint-Mont zu Plaimont Producteurs gehört. Plaimont ist die größte Winzervereinigung in der Gascogne und weiß, wie ich während meines mehrtägigen Aufenthalts in der Region feststellen konnte, nicht nur durch die große Vielfalt ihrer Weine, sondern auch durch deren bemerkenswertes Preis-Genuss-Verhältnis bis hin zu wahrlich beeindruckenden Qualitäten zu überzeugen.
Das Château de Cassaigne liegt wenige Kilometer von der Gemeinde Condom entfernt und wurde 1247 erbaut; die Brenntradition reicht bereits bis in die Zeit vor der Französischen Revolution zurück. 35 Hektar umfasst die Rebfläche der Domaine, die sich im Besitz der Familie Faget befindet – die Trauben der Rebsorten Ugni Blanc und Colombard für den Armagnac wachsen in besonders kühlen Lagen mit kalkhaltigen Böden. Gebrannt wird jeweils während der Wintermonate im traditionellen Verfahren.
Der Armagnac 1966 reifte 40 Jahre lang, also bis 2006, im Eichenholzfass und dann bis zur Abfüllung 2017 weiter im Glasballon; er hat 40 Volumenprozent Alkohol. Dem Glas entströmen Noten von Tabak, Lebkuchen, getrockneten Pflaumen und gerösteten Haselnüssen sowie etwas Vanille und getrockneten Blüten. Der Gaumeneindruck ist ruhig und lang mit Aromen von Vanille, Karamell, kandierten Kirschen, eingelegten Pflaumen und feiner Würze; der Nachhall erinnert an Orangenzesten und weiße Schokolade. Ein denkwürdig schöner Digestif. Santé!
Auf die Freude!
By Joÿ Armagnac 1989
ef 197 – November 2019
Für den Gegenstand dieser Kolumne ist 2019 ein doppeltes Jubiläumsjahr.
1929, also vor 90 Jahren, ließ sich die Schweizer Familie Gressler in der Gascogne nieder. Die Landschaft im Südwesten Frankreichs und deren natürlicher Reichtum hatten sie verzaubert. Im Laufe der Jahrzehnte wandelte sich ihr landwirtschaftlicher Mischbetrieb zu einem reinen Weingut mit Brennerei: „Seit den 90er Jahren produziert die Domaine de Joÿ junge, moderne und dynamische Weine“, heißt es in der Selbstdarstellung des Unternehmens. Dabei konzentriert man sich auf weiße Rebsorten und betreibt seit 2005 zertifiziert nachhaltigen Weinbau; die Rebfläche umfasst gegenwärtig 160 Hektar.
Im Ort Panjas im Département Gers liegt das Gut, bei dessen Namen jeder, der des Englischen („joy“) oder Französischen („joie“) zumindest grundlegend mächtig ist, sofort an Freude denkt – beste Vorzeichen, wenn es um Genuss geht. Dass hier, zwischen Nogaro und Estang im Herzen des Bas-Armagnac-Gebiets, nicht nur Wein, sondern auch Weinbrand erzeugt wird, liegt nicht nur nahe, sondern ergibt sich geradezu zwangsläufig.
Als Vertreter der inzwischen dritten Familiengeneration haben Olivier und Roland Gressler zusammen mit dem Önologen und Armagnac-Experten Marc Lary die Linie „By Joÿ“ ins Leben gerufen: eine Selektion von Armagnacs des Hauses aus den besten Lagen. Und das edle Destillat dieser Linie aus dem Jahrgang 1989 wird nun – das ist das zweite Jubiläum – 30 Jahre alt, was zufällig genau einem Drittel des Alters der Domaine entspricht. Grund genug, darauf anzustoßen.
40 Volumenprozent Alkohol hat der Brand und offenbart im Duft Aromen von getrockneten Pflaumen, Aprikosen und Feigen, Blüten, Zigarrentabak und Vanille sowie zart rauchige Nuancen. Im Mund zeigen sich wiederum Noten von Tabak, etwas Rauch und getrockneten Pflaumen sowie Anklänge an Vanille und Honig; der Armagnac ist weich, in sich geschlossen und lang. Ein sehr angenehmer Digestif, der Kenner entzückt und auch Einsteiger nicht überfordert.
Konsequent Orange
Château de Millet Bas-Armagnac 1996
ef 198 – Dezember 2019
In Eauze, im Herzen des Armagnac-Gebiets, liegt das Château de Millet. Armagnac wurde hier bereits im 19. Jahrhundert produziert, und 1890 – vor fünf Generationen – kaufte die Familie Dèche das beschauliche Anwesen aus dem 18. Jahrhundert. Heute führen Francis und Lydie Dèche mit ihrer Tochter Laurence das Weingut und die Brennerei.
Die Domaine verfügt über 80 Hektar Rebfläche mit Sand- und Lehmböden, die sich über die Hügel im Nordwesten des Ortes erstrecken, und kultiviert in nachhaltigem Anbau zu 80 Prozent weiße Rebsorten: Colombard, Ugni Blanc, Gros Manseng, Chardonnay, Sauvignon Blanc sowie – speziell für den Armagnac – Baco. Diese Traube wurde 1898 von François Baco aus den Sorten Folle Blanche und Noah gezüchtet und spielte bis in die 1970er Jahre eine große Rolle in der Armagnac-Produktion; heute ist ihre Verbreitung nur noch sehr gering.
Der Wein und der Armagnac von Château de Millet werden ausschließlich auf der Domaine aus selbst angebauten Trauben erzeugt. Destilliert wird jedes Jahr in der ersten Dezemberhälfte im kontinuierlichen Brennverfahren, der Ausbau der Destillate erfolgt in 400-Liter-Holzfässern. Das Datum der Flaschenabfüllung wird auf dem Etikett vermerkt.
Der Bas-Armagnac 1996 wurde im Mai 2017 abgefüllt, reifte also über zwei Jahrzehnte im Fass. Der Brand aus Ugni Blanc und Baco hat 42 Volumenprozent Alkohol und duftet markant nach getrockneten Orangen, Gewürznelken und etwas hellem Tabak. Im Mund präsentiert er sich fein mit Aromen von Honig, Orangenmarmelade, Kräutern, Tabak und etwas getrockneten Blüten – ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis.
Château de Millet ist bei einer Reise in die Gascogne unbedingt einen Besuch wert. Familie Dèche ist herzlich und engagiert, die Weine, Brände und weiteren Spezialitäten sind sehr überzeugend, und für kurze oder längere Aufenthalte steht Gästen im ehemaligen Taubenschlag eine Ferienwohnung zur Verfügung, die mit insgesamt 90 Quadratmetern auf drei Etagen Platz für sechs Personen bietet.