PDF

Dies ist gewissermaßen die Fortsetzung von „Ein Fest“. Ich war erneut bei den besagten Freunden eingeladen, um die beiden verbliebenen Flaschen aus jener Präsentkiste – ergänzt um zwei weitere exquisite Gewächse – ihrer Bestimmung zuzuführen. Das war wiederum ein denkwürdiger kulinarischer Abend.

Mit drei Gängen plus Amuse-Bouche und Sorbet wurde wieder groß aufgekocht, wobei wir hinsichtlich der Weine diesmal nicht nur in Frankreich blieben, sondern uns jeweils einen Abstecher nach Italien und Österreich erlaubten.

Terroir Blanc de Blancs Extra Brut, Champagne Agrapart Erster Akt

Der Abend begann mit dem Terroir Blanc de Blancs Extra Brut von Agrapart (Champagne, Frankreich) – welch ein Auftakt!

In der Nase herb nussig, getrocknete Pflanzen, angetrocknete Zitrusfrüchte, teilweise getrocknete Blüten und etwas heller Tabak. Im Mund geradlinig, mineralisch, Zitrusfrüchte, florale Noten, sehr feine Perlage, relativ präsente, feine Säure, leicht nussig-karamelliger Schmelz im Abgang. Mit Luft deutlich Quitten sowie immer deutlicher Nüsse, im Abgang Limetten.

Als Amuse-Bouche dazu gab es mit Forellenmousse gefüllte Gurkenröllchen. Der Champagner wurde damit fruchtiger und harmonierte gut mit den salzig-rauchigen Noten des Fischs. 

Zweiter Akt

2009 Bâtard-Montrachet Grand Cru Vieilles Vignes, JouardDer eindrucksvollste (und teuerste) Wein des Abends war gleich der zweite: Der 2009 Bâtard-Montrachet Grand Cru Vieilles Vignes von Jouard (Burgund, Frankreich).
Er war, als wir das erste Glas einschenkten, bereits über zwei Stunden karaffiert, aber dennoch zunächst sehr verschlossen im Duft. Danach allerdings begann eine wahre sensorische Achterbahnfahrt…

Die ersten Impressionen in der Nase sind Kräuter, Waldhonig, Zitrusfrüchte, kandierte Walnüsse und Steinobst. Im Mund von Anfang an tief, teilweise kandierte Nüsse, teilweise getrocknete gelbe Früchte, sehr kompakte Mineralität; legt sich auf die Zunge und erzeugt dann großflächigen, gleichmäßigen Druck, subtil, aber machtvoll. Mit Luft Zitronenmelisse, Anklänge an Quitten und Aprikosen, später auch Anis, immer mehr Kraft und Schmelz, sehr lang am Gaumen, ein wenig buttrig, immer harmonischer; opulent und sehr stoffig. Im Laufe der Zeit (und mit noch mehr Luft) in der Nase zunehmend Karamell, im Mund nussig, Birnen- und Quittenkompott, immer saftiger, feine, zupackende Mineralik. Schließlich in sich geschlossen und ruhig, Zitrusfrüchte und Kernobst, animierend, betörend saftig und nachhaltig, ausgewogen.

Faszinierend: Der Wein verlangt nach dem Karaffieren die enge Führung des Weißweinglases (wobei das von uns verwendete Zalto-Glas überdurchschnittlich groß und in der sensorischen Qualität kaum zu überbieten ist); im Rotweinglas verliert er sich, die Aromen verhallen ungerichtet irgendwo über der großen Oberfläche. Und perfide: In dem Moment, wo man von ihm nicht mehr genug bekommen kann und sich am liebsten in ihm ertränken will – ist die Flasche leer! Aus dieser Situation stammt die folgende Essenz, die meine Weinbeschreibung zusammenfasst: Die Verschmelzung von Zitrusfrüchten, kandierten Nüssen und Mineralität zu einer unendlich saftigen, animierenden Einheit mit scheinbar ewig währendem Nachhall überwältigt die Sinne.

Ach ja – etwas zu essen gab es dazu natürlich auch: Die Vorspeise waren Schwertfischspieße mit Limetten, roten Zwiebeln und Rosmarin auf Risotto Milanese – ein aromenstarkes Gericht, das der Wein mit seiner Komplexität vortrefflich begleitete.

Intermezzo

Das vor dem Hauptgang gereichte Limonensorbet mit Champagner war kaum je so sinnvoll eingesetzt: Mit erfrischender Säure brachte es die Geschmacksnerven wieder etwas zur Ruhe und bereitete auf den anschließend folgenden Rotwein vor.

Dritter Akt

2012 Sessantanni Old Vines Primitivo di Mandria, Cantine San MarzanoDer nächste Wein – was sollte nach dem monumentalen Erlebnis des weißen Burgunders noch kommen? – setzte einen intuitiv richtig gewählten dramaturgischen Kontrapunkt, indem er nun eine völlig andere Richtung vorgab: Der 2012 Sessantanni Old Vines Primitivo di Manduria von Cantine San Marzano (Apulien, Italien) präsentierte sich jünger (indessen auch reif genug), kräftiger und bodenständiger. Er war, als er ausgeschenkt wurde, gut drei Stunden karaffiert. 

In der Nase rote und schwarze Beeren, Gewürze, etwas Teer und Tabak sowie getrocknete Kräuter. Im Mund reife Beeren, etwas Pflaumenkompott und Zimt, Lorbeer, Pfeffer, geradlinig, sehr gut eingebundenes Tannin, feiner Säurebiss, kühle erdig-mineralische Noten, die Struktur verleihen, harmonisch und nachhaltig.

Das Rinderfilet an Honig-Rosmarin-Jus mit Kartoffelgratin und glasierten Karotten als Hauptspeise war eine ausgesprochen stimmige und genussreiche Kombination, und der Wein hatte dafür genau die richtige Kraft und erwies sich als sehr angenehmer und geradezu süffiger Begleiter.

Vierter Akt

1995 Runter Ausbruch, Heidi SchröckDer letzte Wein des Abends war der älteste und glücklicherweise nicht nur in einer halben Flasche verfügbar: der 1995 Ruster Ausbruch von Heidi Schröck (Burgenland, Österreich) – einer der Pionierinnen des österreichischen, zumal des burgenländischen Weinbaus.

In der Nase Karamellsirup, teils eingemachte, teils angetrocknete Aprikosen, Kräuter, kandierte Rosenblüten und Waldhonig. Im Mund kandierte Aprikosen, Thymian, Rosmarin, Lavendel, sehr geradlinig, viel Kraft, Tabakwürze, erstaunlich erhaben, feine Säure, druckvoll und nachhaltig. Mit Luft kandierte Orangen, Zimt, Sandelholz und Honig; am Ende bleibt – mit scheinbar endlosem Nachhall – Waldhonig.

Die Nachspeise bestand in Lavendel-Panna Cotta mit Mangomousse, und mit seiner perfekten Balance zwischen Süße, Frucht und Kräuterwürze war der Wein dazu ein optimaler Partner – besonders übrigens zur Mango.

Epilog

Ob bewusst oder unbewusst: Die Abfolge der Weine an diesem kulinarischen Abend entsprach genau meinem Vorschlag in „Genuss-Dramaturgie“, der sich damit aufs Beste empirisch bestätigte. Mein großer Dank gilt meinen Gastgebern, die mir diese nachgerade selig machende sinnliche Erfahrung beschert haben.