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In der Rubrik „Hochgeistiges“ erschien auch im vergangenen Jahr jeden Monat eine Spirituosen-Kolumne von mir im ef-Magazin. Die gesammelten Kolumnen 2015 habe ich nachfolgend wieder hier im Blog zusammengestellt.

Feel! Munich Dry Gin

Sinnlich, ehrlich, zitrusfrisch

ef 149 – Januar/Februar 2015

Korbinian Achternbusch aus München ist Mitte 20, Textilreinigermeister – und wollte aus einer Bierlaune heraus einen eigenen, besonders fruchtbetonten Gin erzeugen. Er ließ sich von Obstbrennern in die Kunst der Destillation einweisen und tüftelte ein Jahr lang an der perfekten Kombination der Zutaten für sein Produkt. In einer gemieteten Garage richtete er eine hochmoderne 150-Liter-Brennanlage ein und begann 2012 mit der Herstellung von „Feel! Munich Dry Gin“ – was nach wie vor ein nebenberufliches Ein-Mann-Projekt ist.

17 Botanicals (Früchte, Kräuter und Gewürze) – überwiegend aus Deutschland – verarbeitet Achternbusch in seinem Gin, darunter Wacholder, Limetten, Blaubeeren, Aroniabeeren, Koriander, Kubebenpfeffer, Zitronenmelisse und Lavendel. Alle Ingredienzen stammen aus kontrolliert biologischem Anbau und werden drei Tage lang in Agraralkohol aus Bioweizen mazeriert. Wie alles andere ist auch die anschließende Destillation im Kupferkessel reine Handarbeit. Nach schonender Filtration wird der Gin auf die Trinkstärke von dezent wärmenden 47 Volumenprozent Alkohol gebracht und danach abgefüllt, etikettiert und verpackt. Bevor er in den Verkauf kommt, ruht er noch drei Monate, um sich zu harmonisieren.

Abgesehen von seinem Biozertifikat ist der Feel! Gin sogar vegan, denn er wird nicht über Eiweiß gefiltert. Da er auch nicht mit Kälte behandelt wird, sind die Aromen besonders ausgeprägt, und die Zitrusbetonung ist markant: In die Nase steigt ein komplexer, feiner und animierender Duft nach Wacholder, Pfeffer, Zirbennadeln, Zitronenzesten und Zitronengras. Auf der Zunge sind deutlich kandierte und getrocknete Limetten zu schmecken, dazu eine geradezu betörende Kräuterwürze, Noten von Zitronenmelisse, Petersilienwurzel, Salbei und Eisenkraut sowie medizinale und erdige Anklänge. Der Geschmack ist bemerkenswert differenziert; Wacholder erscheint erst nach einigen Sekunden, dann aber auf der Überholspur und lang nachhallend. Sehr nachhaltig und vielschichtig!

Ron Pampero Aniversario

Jubiläumsrum aus Venezuela

ef 150 – März 2015

Venezuela ist vielleicht nicht das erste Land, an das man denkt, wenn es um hochwertigen Rum geht. Dabei liegt die Karibik mit den zahlreichen und namhaften Rum-Herstellern gleich vor der Küste des südamerikanischen Landes. In der Hauptstadt Caracas gründete Alejandro Hernández 1938 die Destilerias de Pampero.

Der Name leitet sich von dem gleichnamigen stürmischen Südwestwind ab, der aus den argentinischen Pampas (der Grassteppe am Río de la Plata) heranweht und das Klima bis nach Venezuela beeinflusst. Er bringt Hitze und sorgt für einen schnellen Wechsel von Regen und Trockenheit, was sich sowohl auf das Zuckerrohr, aus dem der Rum entsteht, als auch auf die Lagerbedingungen des fertigen Brands auswirkt.

Hernández stammte ursprünglich von der Isla de Margarita, die der Küste vorgelagert ist, und war eigentlich in der Fischerei tätig. Er entwickelte sich jedoch zum Qualitätspionier der venezolanischen Rum-Produktion, und Destilerias de Pampero gilt heute als Marktführer; inzwischen gehört das Unternehmen zum Spirituosenkonzern Diageo.

Der Ron Añejo Aniversario Reserva Exclusiva wurde 1963 zum 25-jährigen Bestehen der Destillerie kreiert. Er ist ein verschnittener Melasse-Rum mit 40 Volumenprozent Alkohol, der bis zu zwölf Jahre in alten Bourbon- und Sherry-Fässern aus amerikanischer Eiche reift. Diese lagern relativ hoch über dem Meeresspiegel in Ocumane, wo sehr große Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht herrschen. Diese Jubiläumsedition kommt zwar ohne konkrete Altersangabe, dafür aber in einer auffällig bauchigen Flasche auf den Markt, die in einem hellen Lederbeutel steckt.

Dem Glas entströmt ein verführerischer, erdig-gesetzter Duft nach Tabak, Backpflaumen, getrockneten Aprikosen, kandierten Orangen sowie Kandis und Karamell. Auf der Zunge ist der Pampero Aniversario mild und tief; er schmeckt nach angetrockneten Aprikosen und Orangen, Tabak, kandierten Nüssen, Zimt, Kandis, Rosinen und Pflaumenmus. Das Mundgefühl ist angenehm weich und warm – und lang!

Gauthier Vieille Prune

Pflaume aus dem Holz

ef 151 – April 2015

Übersetzt heißt dieses edle Destillat „Alte Zwetschge“, und seine Herstellung hat eine lange Tradition im frankophonen Europa – also in Frankreich und in der Schweiz. „Vieille Prune“ wird aus vollreifen Pflaumen gebrannt und reift danach – im Unterschied zum klaren Pflaumenschnaps (Zwetschgenwasser oder Pflümli) – im Holzfass, was ihm – ähnlich wie Weinbrand (Cognac, Armagnac) oder Apfelbrand (Calvados) – eine dunkle Farbe und charakteristische Karamell-, Vanille- und Röstaromen verleiht.

Die „Vieille Prune“ der Distillerie Jean Gauthier ist einer der Vorzeigebrände des Hauses, das der Namensgeber – Vater des heutigen Direktors Denis Gauthier – 1968 gegründet hat. Die Brennerei sitzt im kleinen Ort Saint-Désirat im Département Ardèche, das zur Region Rhône-Alpes im Südosten Frankreichs gehört. Das Dorf liegt direkt am Ufer der Rhône, und Denis Gauthier verweist auf den Standortvorteil: „Dank ihrer bevorzugten Lage im Herzen des Rhônetals ist unsere Destillerie innerhalb von 30 Jahren ein maßgeblicher Akteur bei der Produktion von Obstbränden geworden.“ 25 Mitarbeiter kümmern sich heute um die sorgfältige Auswahl und Verarbeitung der Birnen, Mirabellen, Kirschen, Himbeeren, Aprikosen und Pflaumen. Produziert werden sowohl Schnäpse als auch Liköre.

Die Früchte für den holzfassgereiften Zwetschgenbrand stammen ausschließlich aus der Region. Schon in der Nase erkennt man genau, was man im Glas hat: Die „Vieille Prune“ duftet nach teilweise getrockneten Pflaumen, Pflaumen- und Aprikosenkernen, gerösteten Pistazien und Mandeln – angenehm fruchtbetont und puristisch. Die Zunge erschmeckt kandierte Pflaumen und Aprikosen, Marzipan, Karamell, etwas Tabak sowie im Abgang auch kandierte Veilchen. Dabei machen sich die 43 Volumenprozent Alkohol wärmend bemerkbar. Das Mundgefühl ist weich und nachhaltig – ein Digestif zum Wohlfühlen.

Übrigens: Dass die Rhône ausgerechnet die beiden Länder durchfließt, in denen die „Vieille Prune“ ihre Heimat hat, darf getrost als Zufall gelten.

Glenmorangie The Lasanta

Ein stilles, süßes Feuer

ef 152 – Mai 2015

„Wärme und Leidenschaft aus dem Tal der Ruhe“ – so müsste man den Namen dieses Whiskys übersetzen. Widersprüchlich? Erklärbar. Glen bedeutet im Gälischen Tal oder Schlucht, Glenmorangie so viel wie Tal der Stille, und Lasanta ist der gälische Ausdruck für Wärme und Leidenschaft. Die bekommt der edle Brand durch seine zweite Reifung.

Die Whisky-Brennerei Glenmorangie liegt in Tain in den nördlichen Highlands und wurde 1843 von den Brüdern Matheson gegründet. Noch früher befand sich auf dem Gelände eine Brauerei. Die Destillerie verfügt über die höchsten Brennblasen in Schottland: 5,14 Meter ragen ihre kupfernen Hälse empor und sind damit so hoch wie eine ausgewachsene Giraffe. Der Vorteil dieser Konstruktion ist, dass nur die leichtesten und reinsten Dämpfe bis an die Spitze gelangen, so dass die Glenmorangie-Whiskys besonders weich und mild sind.

Zwölf Jahre alt ist der Lasanta laut Etikett. Zehn Jahre reifte er in ehemaligen Bourbon-Fässern aus amerikanischer Weißeiche und erhielt danach ein zweijähriges Finish in spanischen Fässern, in denen zuvor Oloroso-Sherry lagerte – auch darauf spielt der Name an. Mit der Extra-Reifung begann die Brennerei vor mehr als 20 Jahren, und der Lasanta ist einer der beliebtesten Whiskys dieser Reihe.

Der scheinbare Widerspruch des Namens setzt sich im sensorischen Erlebnis fort. In der Nase zeigt der Lasanta neben Aromen von Tabak, Gewürzen und Trockenpflaumen auch leicht oxidative Noten vom Sherry – so weit, so authentisch. Auf der Zunge dann ist er zuerst herb-würzig (auch dank der 46 Volumenprozent Alkohol) und wird danach süßlich-schmelzig: Tabak, Zedernholz, Sternanis und getrocknete Blüten (vor allem Veilchen) prägen das Geschmacksbild, dazu Karamell und eine Spur Honig. Wirklich beeindruckend ist schließlich der lange Nachhall, der mit gerösteten Nüssen, Bitterschokolade, wieder Karamell sowie Vanille und Nougat aufwartet. Man möchte sich zurücklehnen und wohlig schnurren – und kann tatsächlich immer wieder nachschmecken...

Penderyn Madeira Single Malt

Aur Cymru – Walisisches Gold

ef 153 – Juli 2015

Whisky aus Wales. Ich erspähte die Flasche in einer Frankfurter Cocktailbar und war sogleich neugierig, denn Wales hatte ich bisher noch nicht auf meiner Whisky-Landkarte.

Tatsächlich ist die Penderyn Distillery im gleichnamigen Dorf am Fuße der südostwalisischen Bergkette Brecon Beacons erst gute zehn Jahre alt: 2004 wurde der Single Malt Welsh Whisky erstmals öffentlich vorgestellt – im Beisein des britischen Thronfolgers Charles, seines Zeichens Prince of Wales. Zwei Besonderheiten zeichnen die Brennerei aus: Erstens besteht ihre Destillationsanlage aus nur einer kupfernen Brennblase und wurde von Dr. David Faraday, Verfahrensingenieur an der Surrey University, exklusiv für Penderyn entwickelt; das Destillat verlässt die Anlage mit einer Alkoholstärke von 92 Volumenprozent. Zweitens kommt das Wasser, das für die Herstellung und die Herabsetzung des Whiskys auf Trinkstärke verwendet wird, aus einem eigenen Reservoir im Brecon Beacons National Park; tief unter der Destillerie befindet sich eine Quelle im kohlenstoffhaltigen Kalkstein.

Penderyn produziert aus Gerstenmalz pro Tag nur die Menge für ein Fass Whisky. Der Brand reift zunächst in amerikanischen Bourbon-Fässern und erhält sein Finish – also seine zweite Reifung – danach in kleinen portugiesischen Madeira-Fässern. Die zu Portugal gehörende Insel Madeira liegt westlich der marokkanischen Küste, und von hier kommt eine Dessertwein-Spezialität gleichen Namens; dieser aufgespritete Süßwein ist von karamelligen und oxidativen Noten geprägt, die dann auf den Whisky übergehen.

Zu diesem ist zunächst zu sagen: Etwas Luft tut ihm gut. In der Nase erinnert er fast ein wenig an Rum: Aromen von Vanille, Zimt, Karamell, Zuckerrohr, getrockneten Blüten und Zedernholz prägen den Duft. Zu schmecken sind getrocknete Pflaumen und Aprikosen, Tabak, teilweise getrocknete Kräuter, Vanille und Kandis sowie leicht medizinale Anklänge; seinen Alkoholgehalt von 46 Volumenprozent versteckt der nachhaltige Welsh Single Malt nicht.

Das Mispelsche

Digestif mit Fruchteinlage

ef 154 – Juli/August 2015

Im Rhein-Main-Gebiet – zumal in Frankfurt – gibt es einen typischen Digestif, der genauso zur Region gehört wie der Apfelwein: die Mispel. Im lokalen Sprachgebrauch wird sie verkleinert und liebevoll „Mispelsche“ genannt (Mehrzahl dann übrigens „Mispelscher“).

Die Mispel ist eine Apfelfrucht und stammt vermutlich aus dem westasiatischen und südosteuropäischen Raum. Ihr Baum ist von eher kleinem, aber ausladendem Wuchs, und die bräunlichen Früchte fallen durch ihre markanten Kelchblätter auf. Sie sind etwa so groß wie eine Walnuss oder ein Tischtennisball und im Oktober/November erntereif. Essbar sind sie jedoch erst nach längerer Lagerung, denn sie beinhalten viel Gerbstoff. Das weiße bis rötliche Fruchtfleisch ist zunächst sehr hart und schmeckt säuerlich-herb. Durch die Lagerung – wenn der Gerbstoff abgebaut wird und der Zuckergehalt in den Früchten zunimmt – sowie durch die Konservierung in Dosen oder Gläsern werden die Mispeln mürbe und schmecken süßlicher.

Für den hessischen Digestif werden daher konservierte geschälte (gelbfleischige) Mispeln verwendet, und sie dienen als Beigabe zu einem Apfelbrand – meist Calvados, besonders authentisch natürlich einem holzfassgereiften Destillat aus hessischen Äpfeln. Es hängt von der Größe der Frucht und von der Großzügigkeit des Gastwirts ab, ob eine ganze oder eine halbe Mispel serviert wird. Diese wird auf einen Zahnstocher, Partyspieß, ein Cocktailschirmchen oder Fähnchen gesteckt, und dieser bzw. dieses liegt dann samt der Frucht entweder quer über dem Glasrand oder ragt aus dem Glas heraus, wenn die Frucht am Glasboden ruht.

Meistens kommt das Mispelsche in einem Cognacschwenker oder in einem größeren Schnapsglas auf den Tisch. Ob man dann zuerst die Frucht isst und danach den Apfelbrand trinkt oder umgekehrt, wird heftig diskutiert – beides ist „erlaubt“. Und obwohl die Mispel kein Apfel ist, gehört sie ja zu dessen Familie – und daher passt das Mispelsche ganz vortrefflich zum hessischen Lieblingsgetränk Apfelwein.

Tomintoul 16 years

Speyside zum Aperitif

ef 155 – September 2015

Auf Tomintoul kam ich durch einen Freund – ebenfalls Whisky-Liebhaber. Die Destillerie liegt in der Region Speyside im Nordosten Schottlands im Flusstal des Livet (Glenlivet), der seinerseits in den Avon mündet. Der Name Tomintoul bedeutet so viel wie „Hügel mit Scheunen“, und der gleichnamige Ort ist das höchstgelegene Dorf in den schottischen Highlands.

Die Whiskys dieser Brennerei zählen einem einschlägigen Nachschlagewerk zufolge zu den leichtesten und aromatisch feinsten der Region. Darauf nimmt auch der Firmenslogan „the gentle dram“ Bezug: Dram war früher eine Gewichtseinheit bei Apothekern (umgerechnet 3,8 Gramm) und ist heute ein anderes Wort für Schluck, so dass sich der Slogan mit „der sanfte Schluck“ übersetzen lässt.

Obwohl die Tomintoul Distillery erst knapp 50 Jahre alt ist, arbeitet sie nach traditionellen, seit Jahrhunderten bewährten Methoden. Das Wasser für die Whiskybereitung kommt nicht aus dem Livet, sondern aus der nahegelegenen Ballantruan Spring, und Brennmeister Robert Fleming stammt aus einer Familie, die bereits seit Generationen in der Glenlivet-Region Whisky herstellt.

Der Tomintoul 16 years reifte – wie der Name bereits vermuten lässt – 16 Jahre in ehemaligen Bourbon-Fässern aus amerikanischer Weißeiche und ist wirklich anders als die Whiskys, die ich sonst gewohnt bin. In der Nase zeigt er helle, süßlich-würzige Aromen von Tabak, Toffee, Aprikosen, Heu und Malz; auch Melasse, Karamell und grüner Tee klingen an. Im Mund erfüllt der die Prognose des erwähnten Whisky-Führers: mild, weich und sanft mit Noten von Heu, getrockneten Blüten, Karamell, Tabak und etwas Feigen. Er bleibt nachhaltig am Gaumen und hat mit seinen 40 Volumenprozent Alkohol genau die richtige Stärke. Die Publikation empfiehlt den Tomintoul 16 years aufgrund seiner milden Art sogar als Aperitif. Wir haben es ausprobiert – und können es bestätigen!

Wer also den scharfen, torfig-jodigen Insel-Whiskys nicht so viel abgewinnen kann, wird hier sicher eher glücklich werden.

Glen Grant 5 years

Ein Schatz von 1964

ef 156 – Oktober 2015

Auf den ersten Blick ist er ein junger Whisky aus den Highlands, fünf Jahre gereift. Wenn nicht auf einer Banderole am Flaschenhals stünde: „Distilled 1964“. Durch einen glücklichen Umstand gelangte ich an diese Flasche, die wahrhaftig über 50 Jahre alt ist.

Glen Grant ist die älteste von insgesamt fünf Brennereien im Städtchen Rothes, das im Herzen der Region Speyside liegt. Die Brüder John und James Grant gründeten sie 1840, und noch heute stehen auf dem Firmengelände Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Zahl der Brennblasen hat sich seitdem allerdings von ursprünglich vier auf acht verdoppelt; die ältesten werden noch immer mit Kohle befeuert. Das Wasser, mit dem der Whisky hergestellt wird, stammt aus den Quellen Glen Grant Burn und Caperdonich Well (was übersetzt „geheimer Brunnen“ bedeutet). Caperdonich war auch der Name einer zweiten Destillerie, die James Grant 1897 direkt gegenüber von Glen Grant erbaute; sie wurde jedoch 2002 stillgelegt.

Der Flaschenfund des Fünfjährigen von 1964 beweist anschaulich, dass Spirituosen, nachdem sie einmal abgefüllt sind, nicht nachreifen. Auch angebrochene Flaschen kann man – sofern sie fest verschlossen sind und am besten dunkel, definitiv aber nicht zu warm gelagert werden – Jahrzehnte aufbewahren, ohne dass der Inhalt Schaden nimmt. Der inzwischen gut ein halbes Jahrhundert alte Glen Grant duftet nach Heu, hellem Tabak, Quitten, Birnen, etwas Zitrusfrüchten und Toffee und zeigt auch rauchige Noten. Insofern wird er der weichen Speyside-Art gerecht. Im Mund wirkt er – ebenfalls durchaus erwartungsgemäß – süßlich mit Aromen von Melasse und Butterkaramell, Quitten, Getreide, einer recht komplexen pflanzlichen Würze sowie Anklängen an Tabak und Rauch. Er ist nachhaltig und trotz seiner 43 Volumenprozent Alkohol ziemlich mild.

Dieser Whisky ist – selbstverständlich auch ohne die geradezu experimentell lange Lagerung – ideal für alle Gelegenheiten. Es macht wirklich Spaß, ihn zu trinken!

Fjallagrasa

Isländischer Moosschnaps

ef 157 – November 2015

Spirituosen lassen sich nicht nur aus Früchten oder Getreide, sondern aus allen möglichen Pflanzen herstellen. In einem skandinavischen Restaurant in Frankfurt entdeckte ich Fjallagrasa – ein Destillat aus Isländisch Moos.

Isländisch Moos (auf Isländisch: fjallagrös) ist allerdings gar keine Pflanze, sondern eine Strauchflechte, also eine Symbiose zwischen einem Pilz und einer Grünalge. Der Pilz versorgt die Lebensgemeinschaft dabei mit Wasser und Mineralstoffen, die Alge durch Photosynthese mit Nährstoffen. Isländisch Moos enthält zum einen viele Mehrfachzucker (Polysaccharide) sowie zum anderen spezielle Flechtensäuren. Es lässt sich sowohl als Nahrungs- als auch als Heilmittel verwenden, denn es wirkt gegen Bakterien und Viren, stärkt das Immunsystem und kann sogar das Wachstum von Tumoren hemmen.

Für den „Icelandic Schnapps“ wird handgepflücktes Isländisch Moos aus dem wilden Hochland der Insel in einer in Island selbst produzierten Alkoholmischung eingelegt. Der Alkohol löst die biologisch aktiven Substanzen aus der Flechte, die für die spezielle Farbe und Aromatik des Getränks sorgen – „ein einzigartiger Schnaps, der pur nach Island schmeckt“, so der Hersteller Íslensk Fjallagrös; in jeder Flasche des Naturprodukts mit 38 Volumenprozent Alkohol befindet sich ein Stück Isländisch Moos.

Fjallagrasa duftet süßlich-würzig nach Walnüssen und Bienenwachs, und genau so schmeckt er auch – zunächst. Denn nachdem die Welle von Walnuss und Wachs einmal über die Zunge gerauscht ist, wird es plötzlich für einen kurzen Moment herb-schärfend, und danach ist der gesamte Mundraum für mehr als eine Minute ausgekleidet mit Aromen von Waldboden: Erde, Pilze, Laub und (echtes) Moos. Ein faszinierendes Erlebnis, das ich durchaus mit dem Begriff „urtümlich“ beschreiben möchte.

Wenn ich den Geschmack von Fjallagrasa mit etwas Bekanntem vergleichen sollte, dann am ehesten mit Kräuterlikör oder auch mit Zirbenbrand (aus den Zapfen der Nadelbäume), wie ich ihn aus Österreich kenne.

Ätherische Kraft

London No. 1 Original Blue Gin

ef 158 – Dezember 2015

Blau scheint bei Gin eine beliebte Farbe zu sein. Im Mai/Juni 2012 habe ich an dieser Stelle den österreichischen Blue Gin von Hans Reisetbauer vorgestellt – doch jetzt gibt es einen Gin, der nicht nur Blue heißt, sondern auch tatsächlich blau schimmert.

Er kommt – was heutzutage ja schon fast eine Seltenheit ist – stilecht aus England und sogar direkt aus der britischen Hauptstadt, weshalb er vollständig den Namen „The London No. 1 Original Blue Gin“ trägt. Das Getreide, aus dem er entsteht, stammt aus den englischen Grafschaften Suffolk und Norfolk, das Wasser aus den Quellen von Clekenwell im Norden von London. Der Gin wird im traditionellen Pot-Still-Verfahren mit Kupferkesseln dreifach gebrannt und erhält sein Aroma von zwölf Botanicals (Pflanzenauszügen): Wacholder, Bergamotte, Orangen- und Zitronenschale, Angelika- und Iriswurzel, Bohnenkraut, Koriander, Mandel, Lakritz, Zimt und Kassia (ein aus China stammendes, dem Zimt ähnliches, aber eigenständiges Gewürz; in einigen deutschen Beschreibungen des Gins wird fälschlicher Weise schwarze Johannisbeere als Zutat angegeben, was wohl auf eine Verwechslung von Kassia mit Cassis zurückzuführen ist). In Handarbeit werden nur kleine Mengen des Destillats hergestellt, das seine bläuliche Farbe dem Extrakt von Gardenia aculeata, einer Gardenienart, verdankt.

Der London No. 1 ist einer stärksten Gins, die ich bisher kennengelernt habe, was sicher maßgeblich an seinen 47 Volumenprozent Alkohol liegt, doch er ist auch aromatisch sehr kräftig und ausdrucksstark. Im Duft lassen sich neben Wacholder und Angelikawurzel – die ja beide explizit enthalten sind – auch schwarzer Pfeffer, Pomeranze und Minze ausmachen; insgesamt ist die Prägung eher bitter, doch das wirkt anregend und soll schließlich so sein. Im Geschmack bilden getreidig-nussige und erdige Töne das Fundament, darüber kommen ein Strauß von Kräutern sowie vor allem Zitrusnoten von Limette und Bergamotte zum Tragen. Das Mundgefühl ist wärmend und nachhaltig.