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Zwischen Natur und Marketing – so könnte dieser Beitrag auch heißen. Ein Besuch bei Winzer Bernhard Ott brachte mir das Konzept des biodynamischen Weinbaus näher. Eine Kernaussage: Der Boden macht den Wein. So weit, so bekannt. Doch inwieweit geht Biodynamie über den Terroirgedanken hinaus? Bio ist eine Glaubensfrage – eine, der man sich stellen muss.

Bio-Richtlinien

„Ökologischer Weinbau ist ein ganzheitliches Anbausystem. Ökowinzer setzen auf einen biologisch aktiven Boden als idealen Standort für gesunde und stabile Reben“, definiert der Bundesverband Ökologischer Weinbau ECOVIN. Biowein-Richtlinien verbieten den Einsatz von Kunstdünger ebenso wie bestimmte kellertechnische Maßnahmen, beispielsweise die Erhitzung der Maische über 40 Grad hinaus. Stattdessen soll die natürliche Vegetation im Weinberg gefördert werden; eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt in den Rebfeldern ist ausdrücklich erwünscht. Ziel aller Maßnahmen ist die Steigerung der Bodenqualität, um die Reben zu stärken und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlinge zu erhöhen. Kompakte Informationen zum ökologischen und biologischen Weinbau finden sich beispielsweise im Internetportal Öko-Fair sowie auf den Webseiten von Biowein-Händlern wie Delinat oder Rot-Weiss-Rot.

„Wir verlernen leider das Bewusstsein für die Natur“

Biodynamischer Anbau geht noch weiter. Diese Sonderform der biologisch-organischen Bewirtschaftung geht zurück auf den Anthroposophen Rudolf Steiner und arbeitet mit natürlichen Düngern wie Kuhhorn und -mist sowie Kräuteraufgüssen. Die Behandlung der Rebflächen richtet sich nach den Mondphasen, weshalb die Biodynamie vielfach als esoterisch abgetan wird. „Viele Winzer arbeiten biodynamisch, aber sie wissen nicht, warum sie es tun“, sagt Bernhard Ott, der in Feuersbrunn im österreichischen Weinbaugebiet Wagram ein Biodynamie-Weingut mit 34 Hektar betreibt. Er produziert seit dem Jahr 2000 ausschließlich Weißwein, 97 Prozent davon sind Grüner Veltliner. Die Hälfte seiner Weine geht in den Export. Seit 2006 arbeitet Ott biodynamisch und fasst das Konzept in zwei Grundsätze: „arbeiten mit der Natur“ und „nicht in den Saftstrom eingreifen“. Die kosmischen und irdischen Zusammenhänge erklärt er folgendermaßen: „Das Jahr lässt sich in vier Vegetationsphasen einteilen, festgemacht an vier Punkten. Der erste ist Ostern, also immer der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsbeginn.“ Die Karwoche, das heißt die Woche vor Ostern, sei immer die intensivste, da dann gewissermaßen das Vegetationsjahr starte. „Die Kraft soll in den Trieb gehen, nicht in die Traube“, ist Otts Credo. Der zweite Punkt liege am 24. Juni, das sei der höchste Punkt im Jahr. Als dritter Punkt folge der Michaeli-Tag am 26. September, und der vierte und tiefste Punkt des Jahres sei der 24. Dezember. „Diese Punkte orientieren sich an den Mondphasen, und danach richten wir auch die Maßnahmen im Weinberg aus“, so Ott. „Vollmond bedeutet Wachstum und Expansion. Daher stimulieren wir die Reben dann mit Kalzium.“ Neumond dagegen bedeute Reife und Konzentration. Dann werde Silizium gegeben, was den Reben Flüssigkeit entziehe und so die Inhaltsstoffe konzentriere. „Wir kommunizieren mit der Rebe: Im einen Fall sagen wir ihr ‚wachse‘ und im anderen Fall ‚reife‘. Der Rebstock kann das Klima nicht verstehen. Der Winzer hilft ihm, sich richtig zu verhalten“, erläutert Ott. Diese Hilfe vollziehe sich auf drei Ebenen: der allopathischen, die dem Pflanzenschutz diene; der homöopathischen mit Tees (also Aufgüssen) wie Kamille, Brennnessel und Zinkkraut; und der biodynamischen mit speziellen Präparaten wie Hornmist und Hornkiesel. „Im Sommer behandeln wir die Reben beispielsweise mit Kamille, um sie im Hitzestress zu beruhigen“, erzählt Ott. „Wenn der Grüne Veltliner einmal Stress hat, lagern sich sofort Gerbstoffe an, die grüne, das heißt herbe Aromen hervorbringen.“

Auf den Boden kommt es an

Ott widerspricht einer weit verbreiteten Ansicht: „Die Rebe muss nicht leiden, um einen großen Wein zu bringen.“ Was macht einen großen Wein für ihn aus? „Große Weine sind immer lagerfähig.“ Um das zu erreichen, komme es auf zwei Faktoren an. Erstens: „Große Weine entstehen nur aus alten Reben.“ Diese sollten mindestens 30 Jahre alt sein. Und zweitens: „Nur ein gesunder, vitaler Boden bringt große Weine.“ Im Wagram heißt Boden: Löss. Der Wagram, mit 2.400 Hektar Rebfläche Österreichs fünftgrößtes Anbaugebiet und das drittgrößte Anbaugebiet in Niederösterreich, ist eine der mächtigsten Lössformationen Europas. Seinen Namen trägt der Wagram als Weinbauregion erst seit 2008; er kommt von Wachrain (höher gelegen als die benachbarte Wachau) und ursprünglich von Wogenrain. „Lössboden ist erdgeschichtlich das jüngste Gestein, es ist sandartig und kalkhaltig – für Grünen Veltliner ideale Voraussetzungen, insbesondere in Südlagen“, schwärmt Ott. Die Kombination von Grünem Veltliner auf Löss in Südlage sei einzigartig. „Wagram-Weine zeichnen sich durch Trinkfreudigkeit aus. Dieser Veltliner-Typ ist fein, floral und fruchtig“, so Ott. Er liest die Trauben nur von Hand in zwei Lesedurchgängen und sortiert sie in einer Anlage mit Luft: Jede nicht runde Beere, die verletzt. edelfaul oder jedenfalls nicht hundertprozentig gesund ist, wird ausgesondert. „Nur gesunde Beeren ergeben Weine mit Tiefe, Klarheit und Finesse“, sagt Ott, denn: „Die Weine sollen zum Trinken animieren.“ Lössboden bringe feine Weine hervor, „wenn man intelligent wirtschaftet und arbeitet“. Das bedeute vor allem den Einsatz von Humusdünger. Seit 2004 hat Ott eine Partnerschaft mit einem Rinderbauern, der ihm jährlich 2,5 Tonnen Mist liefert, den der Winzer dann selbst kompostiert. „Diese Kompostarbeit kostet im Jahr 50.000 Euro“, berichtet Ott. Aber sie sei Kosten und Mühen wert. „Ein gesunder Boden kann bis zu zehnmal so viel Wasser aufnehmen wie ein geschädigter.“

Dass das sogar in höchst renommierten Weinbauregionen anders sei, macht Ott gleich an einem drastischen Beispiel fest: „In der Champagne werden die Böden gnadenlos ausgebeutet.“ Dem gegenüber verweist das Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne (CIVC) darauf, dass die Hälfte der in der Champagne eingesetzten Produkte für die biologische Landwirtschaft zugelassen seien und kaum noch herkömmliche Insektizide verwendet würden. „Die Maßnahmen, die seit über 20 Jahren umgesetzt werden (Regenwurmpopulation und Mikroflora), haben sich bewährt und die Böden sind biologisch sehr aktiv“, heißt es beim CIVC. Biodiversität und Landschaftsschutz, Wasser- und Abwassermanagement sowie die vollständige Verwertung von Nebenprodukten und Abfällen seien wesentliche Eckpfeiler der Bewirtschaftung in der Champagne.

Kupfer und Schwefel auch bei Bio

Eine noch radikalere Ansicht als Ott vertritt sein Winzerkollege Martin Pasler aus Jois am Neusiedlersee: „Die Industrie macht Werbung für Herbizide und Funghizide. Diese Chemikalien haben Chlor als Trägerstoff. Sie töten zwar die Pilze, doch das Chlor regt auf den Blättern die Produktion von Aminosäuren an, die wiederum der Nährboden für Pilze sind.“ Paslers Schlussfolgerung: „Jeder könnte sofort Bio machen, denn die Chemie bringt nichts mehr.“ Dem widerspricht Roman Josef Pfaffl aus Stetten im Weinviertel: „Jedes Herbizid oder Funghizid wirkt nur prophylaktisch. Wenn der Pilz einmal da ist, ist es zu spät.“ Nachträgliches Spritzen bringe daher nichts. „Pilze treten wetterabhängig auf. Spritzen lässt sich am besten durch Wetterbeobachtung und -prognose verhindern“, so Pfaffl. Ihm zufolge hinterlassen nach aktuellem Stand der Wissenschaft die heute verwendeten Spritzmittel keine Rückstände in Pflanze und Boden und somit im Grundwasser. „Kupfer als Schwermetall dagegen hinterlässt massive Rückstände in Grundwasser und Boden“, warnt Pfaffl und spricht damit einen Schwachpunkt der Biodynamie an: Gegen Pilzkrankheiten wie den Echten und den Falschen Mehltau helfen nur chemische Maßnahmen, nämlich das Ausbringen von Schwefel (um dem Echten Mehltau vorzubeugen) und Kupfer (zur Vorbeugung gegen den Falschen Mehltau). Kupfer wirkt bakterizid und ist für Mikroorganismen bereits in geringen Konzentrationen giftig. Es reichert sich jedoch im Boden an und hemmt dessen Enzymtätigkeit. „Am schlimmsten ist es, Kupfer auf verdichtetem, saurem, also stickstoffgedüngtem Boden zu spritzen“, sagt Birgit Braunstein, Winzerin aus Purbach in der Region Neusiedlersee-Hügelland. Thorsten Melsheimer, Biowinzer aus Reil an der Mosel, äußert sich zum anderen Spritzmittel: „Schwefel ist nicht so schädlich für die Natur, aber für den Menschen. Wer mit Schwefel gespritzt hat, sollte nur kalt duschen. Heißes Wasser aktiviert den Schwefel, und das brennt höllisch.“

Überzeugung oder Außenwirkung

Wohlgemerkt: Schwefel und Kupfer sind im Weinbau generell erlaubt, und Schwefel ist ein wichtiges und notwendiges Konservierungsmittel für den Wein. Dazu hat Martin Maria Schwarz in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen aufschlussreichen Artikel verfasst, nachzulesen im Blog von Weinhändler Bernd Klingenbrunn. Für den Einsatz beider Substanzen gelten Grenzwerte. Im biologischen Weinbau darf jedoch mehr Kupfer verwendet werden, weil die Bodenbelastung durch andere Chemikalien geringer ist. Das ist wohl Behördenlogik. Die Ökoweinverbände suchen bereits seit Jahren nach wirksamen Alternativen, um den Kupfereinsatz zu verringern. Bio ist also nicht zwangsläufig immer in jeder Hinsicht besser, und neben dem „Vorwurf“ der Esoterik sind auch Schwachstellen bei bestimmten Bewirtschaftungsmethoden nicht ganz von der Hand zu weisen. Den Ausspruch von Winzer Pfaffl, Bio sei „nur Marketing“, verstehe ich jedoch nicht so, dass es lediglich um ein absatzförderndes Label gehe. Wer aus Überzeugung – aus dem entsprechenden Glauben heraus, siehe oben – biologischen oder biodynamischen Weinbau betreibt, braucht dafür kein eigenes Marketingkonzept. Gleichwohl kann dies hilfreich sein, doch dann müssen auch bestimmte Regularien eingehalten werden. Wie schwierig die begriffliche Abgrenzung ist, zeigt folgendes kleines Beispiel: Pfaffl betreibt nach eigenen Angaben „naturnahen Weinbau“. Der Eintrag zu diesem Begriff im Glossar des Wein-Netzwerks Wein-Plus verweist jedoch wiederum auf „biodynamischen Weinbau“ (sic!) und „ökologischen Weinbau“.

Hardcore-Biowinzer Pasler ist jedenfalls fest von seinem Konzept überzeugt: „Wir können mit unserer Denkweise enorme Energien freisetzen. Die kommen der Biodynamie zugute.“ Abgeklärter sieht das Winzer Gottfried Lamprecht aus Markt Hartmannsdorf in der Südoststeiermark, der in seinem Blog feststellt: „Biodynamie braucht nicht viel Aufwand um zu sein. Das bilden sich manche nur ein. Ich lasse die Dinge laufen. Vielleicht arbeitet die Natur dann auch mal für mich. Ich denke, das tut sie schon die ganze Zeit.“ In diesem Sinne bekenne auch ich mich zum naturnahen Weinbau: Je nachhaltiger und umweltverträglicher der Winzer arbeitet, desto besser. Für die Qualität sind kompromisslose Selektion des Leseguts, schonende Verarbeitung und wohl überlegte Steuerung mindestens genauso wichtig. Im Idealfall kommen dann individuelle, überzeugende Weine heraus, die ihre Herkunft zeigen und ihr Ehre machen. Biologischer Weinbau ist trotz strengerer Richtlinien in gewisser Weise weniger kontrolliert als konventioneller, weil der Natur mehr Entfaltungsmöglichkeit gegeben wird; es geht darum, ihr die richtigen Rahmenbedingungen zu geben. Darin liegt die Aufgabe des (Bio-)Winzers. – Abschließend noch einmal zurück zu Bernhard Ott: Weinjournalist Manfred Klimek alias Captain Cork hat ihn ebenfalls getroffen, knapp zwei Monate nach mir. Sein Blogbeitrag dazu ist unbedingt lesenswert!