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Buchbesprechungen verfasse ich eher selten; meine zwei ersten sind im Online-Magazin von Wein-Plus veröffentlicht: „Wein oder nicht sein“ von Uwe Kauss und „Geheimnisvoller Schwefel“ von Willi Reisinger. Nun bat mich ein Freund um die Rezension des Weinkapitels in „Gardasee – Natur- und kulturhistorische Ausflüge“ von Lothar Mayer. Diesem Ersuchen komme ich gern nach.

Cover des Buchs Gardasee - Natur- und kulturhistorische AusflügeBei dem Werk handelt es sich um einen rund 350 Seiten starken Bildband mit hochwertiger Ausstattung, der 2015 im Michael Imhof Verlag erschienen ist. Sein Preis von knapp 28 Euro ist für sein Erscheinungsbild und seinen Gehalt überraschend niedrig. Der Begriff „Ausflüge“ im Untertitel ist wörtlich zu nehmen, denn – so heißt es im Rückentext – das Buch, „in dem der Autor 30 Jahre Gardasee-Erfahrungen verarbeitet hat, [...] regt zu eigenen Wanderungen an, indem es Touren rund um den See beschreibt, die aufgrund von botanischen, entomologischen, geologischen und kulturhistorischen Besonderheiten von Interesse sind“. Es geht also um Pflanzen-, Insekten- und Bodenkunde sowie um Kulturgeschichte. „Darüber hinaus taucht der Leser in die Weinbauregionen rund um den Gardasee ein und weiß nach der Lektüre, wo der beste Lugana und der qualitätsvollste Bardolino gekeltert werden“, verspricht der Buchrücken weiter.

Pragmatisch und anspruchsvoll zugleich

Mit diesem recht anspruchsvollen Themenspektrum setzt das Buch einen gewissen Bildungsgrad voraus, und es richtet sich – wie sogar explizit betont wird – primär an Gardasee-Besucher aus Deutschland. Der Aufbau gestaltet sich wie folgt: Nach einer Einführung – unter anderem mit den Kapiteln „Der Gardasee in Zahlen und Fakten“ und „Wo Deutschland auf Italien trifft: ein (Ein-)Stimmungsbild“ – werden zehn Vorschläge für See-Wanderungen ausführlich beschrieben – mit Karten, eindrucksvollen Farbfotos und erläuternden Texten. Danach werden in gleicher Manier auf fast 200 Seiten empfehlenswerte Ziele und Exkursionen vorgestellt.

Im Vorwort stellt Lothar Mayer klar: „Dieses Buch will Sie [...] nicht zum Botaniker, Entomologen, Geologen und auch nicht zum Kunsthistoriker machen. Es will nur einen Zugang zu den Kunst- und Pflanzenschätzen, den Insekten und der Geologie am See ebnen. Wer, zunächst noch ohne Vorkenntnisse, die einzelnen Wanderungen studiert und sie dann unternimmt, dem werden jedenfalls für bestimmte naturkundliche Besonderheiten die Augen geöffnet.“

Wein-Informationen vom Spezialisten

Erste Seite des Kapitels Der Wein am GardaseeEine dieser Besonderheiten ist der Weinbau, und dazu schreibt Mayer in seinen Dankesworten: „Mein Dank gilt auch Karl Bajano, der jahrzehntelang als professioneller Wein-Verkoster tätig war. Ihm verdanke ich den Beitrag über den Wein am Gardasee. Dieses Kapitel hat mir im Vorfeld den größten Kummer bereitet. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie ich in kurzer Zeit zu den notwendigen Informationen kommen könnte – von Kenntnissen, diese Informationen richtig einzuordnen, ganz zu schweigen.“ Nun: Bajano ist das trefflich gelungen; ich habe mit ihm bei Wein-Plus zusammengearbeitet und kenne ihn seit rund fünf Jahren als versierten Weinexperten und leidenschaftlichen Norditalien-Freund.

Das Weinkapitel umfasst gut ein Dutzend Seiten, auch diese illustriert mit stimmungsvollen Bildern von Trauben und Reblandschaften. Bajano holt zunächst alle Leser gemeinsam ins Boot: den „passionierten Weinliebhaber“ ebenso wie den gelegentlichen Weintrinker. Beiden verspricht er Neues zum Thema, und diesen Anspruch löst er im unterhaltsamen Erzählton, gleichwohl aber informatorisch dicht und empathisch auch ein.

Kultureller Auftrag

Zu Beginn gibt es eine kleine interkulturelle Nachhilfestunde: „Nachdem sich dieses Buch vornehmlich an deutsche Besucher des Gardasees wendet, soll auf einige gravierende Unterschiede im Umgang mit Wein in Deutschland und Italien eingegangen werden.“ Dabei geht es zum einen um süßen Rotwein und zum anderen darum, Wein nicht oder nicht nur als Essensbegleiter zu trinken. Bajano ermutigt die Leser dazu, Wein in der Seegastronomie eher flaschen- als glasweise zu bestellen (das sei vergleichsweise günstiger), und empfiehlt ihnen, Wein nicht im Supermarkt, sondern besser in einem Fachgeschäft („Enoteca“), in einer Weinbar oder direkt auf einem Weingut zu kaufen (das sei qualitativ besser). Insbesondere der Weinkauf beim Winzer „hat nichts mit einer Gratis-Sauftour zu tun, das verhindern der Anstand, der Weinbauer und noch mehr die drakonischen Strafen für Alkohol am Steuer“, merkt er an.

In diesem Stil ist das gesamte Kapitel geschrieben: mal augenzwinkernd, mal mit hochgezogenen Augenbrauen – erklärend ohne erhobenen Zeigefinger, mitunter wohlwollend kritisch, ebenso charmant wie nachdrücklich zum Nachdenken und Nachmachen anregend. Bajano geht auf den beliebten „Aperitivo“ ein, das kleine Glas (Weiß-)Wein zwischendurch: „In Maßen zelebriert, ist es ein Genuss ohne Reue – mit dem Kick der kleinen Ausschweifung.“ Doch er beklagt auch, dass die meisten Touristen sich weder für die Weine noch für die originäre Küche vom Gardasee interessierten. Statt Gerichten mit Fischen, die im See selbst leben, „finden sich die Garnelen (Vietnam: Zucht), Doraden (Griechenland: Zucht) und Lachs (Norwegen: Zucht) auf fast jeder Speisekarte rund um den See“ sowie „natürlich die ‚Globalpizza‘ – mit Mehl aus Australien, Käse aus der EU und Tomatensugo aus China“. Insofern ist Bajanos Beitrag ein Bekenntnis zur Regionalität, ein Appell für mehr Aufgeschlossenheit gegenüber den lokalen kulinarischen Spezialitäten im Urlaub. Er nimmt gewissermaßen einen kulturmissionarischen Auftrag wahr – den ich von Herzen unterstütze – und wendet sich gegen die internationale Gleichmacherei als Schattenseite der Globalisierung.

Durch den Dschungel der Weinbezeichnungen

Seite im Kapitel Der Wein am GardaseeBajano macht jedoch noch einen weiteren „Grund für die kaum vorhandene Kenntnis der lokalen Weine“ aus: die italienische Weingesetzgebung. Diese sei hochkompliziert und intransparent, denn: eine „kontrollierte Original-Herkunft“ (DOC) treffe nur eine Aussage über die geographische Herkunft des Weins, aber nicht über seine Qualität; bei den über 400 kontrollierten Ursprungsbezeichnungen in Italien (DOC und DOCG) seien teilweise eine Vielzahl von Rebsorten und Verschnittmöglichkeiten erlaubt; und mitunter gebe es dabei sogar Überschneidungen der Gebiete. „Die angestrebte Klarheit ist in Wirklichkeit ein Dschungel von Sorten und Orten, von Geschmäckern und Herkünften“, resümiert Bajano nicht ohne Bitterkeit.

Doch er selbst schickt sich dann an, dem Leser den Weg durch das Dickicht zu bahnen, und bringt mit einer einfachen Formel erst einmal eine grobe Ordnung in die Weinwelt des Gardasees: „Die Weinbaugebiete rund um den Gardasee liegen nicht in einer einzigen Region bzw. Provinz Italiens, sondern in drei verschiedenen: Arco, Riva del Garda und Nago-Torbole gehören zur Region ‚Trentino-Südtirol‘ und liegen in der Provinz Trentino [Nordufer]. Weiter südlich, beginnend in Malcesine und endend in Peschiera del Garda, gehört das Ufer zur Region ‚Venetien‘ und hier wiederum zur Provinz Verona [Ostufer]. Südlich davon und ab Sirmione und dann in Richtung Norden mit den Hauptorten Desenzano del Garda und Salò bis Limone sul Garda gehört die Gegend zur Region ‚Lombardei‘ mit den Provinzen Mantua und Brescia [Süd- und Westufer].“

DOC-Porträts und Weingüter

Das ist schon einmal sehr hilfreich, und ausgehend davon porträtiert Bajano anschließend kurz und prägnant alle zwölf kontrollierten Herkunftsbezeichnungen rund um den Gardasee, wobei er jeweils auf den geographischen Einzugsbereich, die zugelassenen Rebsorten und Verschnitte, die Geschmacksrichtungen sowie die jeweiligen regionalen Spezialitäten eingeht – sachlich-informativ, verständlich und genau im richtigen Detailgrad, der niemanden überfordert; praxisorientiert im besten Sinne:

Zum Abschluss empfiehlt Bajano konkret ein gutes Dutzend Weingüter – nach seiner eigenen Präferenz: „Die Auswahl ist eine rein persönliche und wurde von mir getroffen, um Ihnen den Einstieg zu erleichtern. Die Anbieter unterscheiden sich deutlich voneinander. Jeder steht für eine bestimmte Richtung.“ Alle Betriebe werden mit Kontaktdaten (ohne Internet-Angaben) und einer Kurzbeschreibung vorgestellt. Damit wird auch das oben zitierte Versprechen vom Buchrücken wieder aufgegriffen.

Insgesamt ist diese Abhandlung über die Weine vom Gardasee die kompakteste, kurzweiligste und anschaulichste, die ich kenne – ein großer Gewinn für alle Italien-Urlauber und Teil eines wirklich sehens- und lesenswerten Buchs, das Lust macht, die Natur- und Kulturschätze des Gardasees genauer zu entdecken. Ich meinerseits werde beim Wein anfangen bzw. weitermachen!