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Nach Weinbrand (Cognac, Armagnac, Brandy etc.) ist der Tresterbrand (Grappa, Marc etc.) als Spirituose dem Wein am nächsten, denn er entsteht ja aus den Kelter-Überresten bei der Weinbereitung. Der Trester ist die breiartige Masse aus Schalen, Kernen, Fruchtfleisch und gegebenenfalls Stielen, die zurückbleibt, nachdem die Trauben gepresst worden sind. Viele Brennereien kaufen den Trester von Weinproduzenten und verarbeiten diesen dann weiter. Der Familie Dolzan war das jedoch nicht gut genug: Sie bewirtschaftet eigene Rebflächen und stellt Wein her – nur um den so gewonnenen Trester, dessen Qualität sie selbst beeinflussen und kontrollieren kann, dann zu Edelbränden zu destillieren.

Dr. Luigi Dolzan und seine Söhne Mauro und Michele betreiben – in vierter bzw. fünfter Generation – die Grappa-Destillerie Villa de Varda in Mezzolombardo im Trentino, die ihr Vorfahr Michele Dolzan Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet hat. Insgesamt produziert Villa de Varda mehr als 50 Trester-, Wein- und Obstbrände, Liköre sowie auch Wein. Dabei liegen alle Arbeitsschritte in der direkten Verantwortung der Inhaberfamilie – der Anbau und die Lese der Trauben, das besonders schonende Pressen, das Brennen des Tresters, das einem speziellen Verfahren folgt, sowie die Reife des fertigen Destillats. Gebrannt werden die Grappe (ja, ich verwende den italienischen Plural; „Grappas“ ginge auch) in einer imposanten kupfernen Anlage, in der sie sechs (!) Brennvorgänge durchlaufen. Dadurch erhalten sie eine besondere Feinheit und ein besonders prägnantes Aroma.

Benjamin Müller, Inhaber der Agentur Aventino, erzählte mir von den Bränden, ich war neugierig und wollte sie kennenlernen, und so verkosteten wir gemeinsam sechs Destillate. Nachdem ich den ersten Schluck vom ersten Grappa genommen hatte, wartete ich darauf, dass sich am Gaumen das typische Schärfen bemerkbar mache, das so viele Tresterbrände haben. Doch nichts dergleichen passierte, weich blieb allein die Frucht im Mund stehen und breitete sich wohlig aus – das war ein beeindruckendes Gütezeichen.

Folgende sechs Grappe von Villa de Varda haben wir probiert:

Grappa Moscato
Sortenreiner Moscato, sechs Monate im Stahltank gereift.
Nase: fein, getrocknete Blüten, etwas Heu, Orange, Aprikose.
Mund: mild, fein, Aprikose, Orange, floral, Kräuter, etwas Anis, Kümmel, Nelken, lang.
Ein geradezu anmutiger, leichter Brand; die Aromen scheinen auf der Flüssigkeit zu schweben und zu tanzen.

Grappa Chardonnay
Sortenreiner Chardonnay, sechs Monate im Stahltank gereift.
Nase: nussig, vegetabil, Artischocken, sehr deutlich gelbe Pflaume, Kräuter, Zitrusfrüchte, etwas Stroh.
Mund: recht kräftig, Kräuter, Heu, nussig, Quitte, Kandis, süßlicher Schmelz, fein, weich, lang.

Grappa Riserva Triè
Dreimal „drei“: drei Rebsorten (Müller-Thurgau, Pinot Bianco und Teroldego) aus drei Lagen, drei Jahre Reife im kleinen Holzfass.
Nase: Anis, Kräuter, vegetabil, Zitrusfrüchte, Aubergine, floral.
Mund: weich, Kandis, kandierte Orangen und Aprikosen, getrocknete Pflaumen, getrocknete Kräuter, süßlicher Schmelz, Anklänge an Leder, nachhaltig.
Der Brand wirkt ein wenig plakativ, ist aber gleichwohl sehr gut gemacht.

Grappa Riserva Pinot Nero
Sortenreiner Pinot Nero, mehrere Jahre im kleinen Holzfass gereift.
Nase: Tabak, Schokolade, getrocknete Cranberries, Pflaume, Kräuter, Heu.
Mund: Tabak, Karamell, getrocknete Aprikosen, Gewürze, getrocknete Kräuter, komplex, Schmelz, Finesse, lang.
Dieser Grappa hat Klasse und die maskulin-elegante Attitüde eines James Bond; er wirkt souverän und weltläufig, dazu animierend wie ein Cognac (also ein Wein-Brand).

Grappa Stravecchia Müller-Thurgau
Sortenreiner Müller-Thurgau, mehrere Jahre im kleinen Holzfass gereift.
Nase: Heu, getrocknete Kräuter, Tabak, eingelegte Orangen, Nelken, Karamell, Zitronengras.
Mund: Kräuter, Zitrusfrüchte, teilweise getrocknetes Kernobst, Tabak, etwas Jod, leicht gewürzig, Zitronenmelisse.
Ein ebenso zart wirkender wie in seinem Auftreten bestimmter Brand.

Grappa Stravecchia Teroldego
Sortenreiner Teroldego, mehrere Jahre im kleinen Holzfass gereift.
Nase: Kirschkerne, Kräuter, Zitrusfrüchte, etwas Marzipan, Heu, getrocknete Pflaumen, fein, komplex.
Mund: sehr fein, weich, vielschichtig, Orangen- und Kirschblüten, Marzipan, Kernobst, Heu, Kräuter, Karamell, Schmelz, Finesse, lang.
Dieser Brand braucht und verdient Aufmerksamkeit.

Für die Sorgfalt des Hauses Villa de Varda spricht insbesondere, dass bei den sortenreinen Destillaten die Typizität der jeweiligen Traube erkennbar ist. Ich bin von diesen Grappe absolut überzeugt und begeistert – und auch ein befreundeter Önologe und Italien-Kenner, dem ich sie vorstellte, zeigte sich sehr angetan: „Das kann man eigentlich nicht besser machen.“